Würdest du bitte über Widrigkeiten und Probleme in unserem Leben sprechen?
Sri Chinmoy:
Widrigkeiten machen dich dynamisch. Widrigkeiten zwingen dich, deine Augen weit offen zu halten. Widrigkeiten lehren dich die Bedeutung von Geduld. Widrigkeiten verleihen dir Glauben an dich selbst. Widrigkeiten führen uns nach innen, um unseren Lebensweg zu korrigieren und zu vervollkommnen. Wohlergehen führt uns vorwärts, um unsere menschliche Geburt zu erleuchten und unsterblich zu machen.
Im Wohlergehen bleibt unsere innere Stärke statisch. Durch Widrigkeiten und Not wird unsere innere Stärke dynamisch.
Niemand kann bestreiten, dass jeder Fortschritt, den die Welt gemacht hat, sowohl vom Lächeln des Wohlergehens als auch von den Tränen der Not gekommen ist. Not ist – wie Armut – keine Sünde. Einen Vorzug der Not kann niemand bestreiten: Sie hilft uns, innerlich stärker zu sein. Je stärker wir im Innern sind, desto strahlender sind wir nach außen. „Ohne Leiden keine Erlösung“, so sagt der Lehrer Not zu seinem Schüler, dem Menschen. „Ohne Wonne der Seele keine Erlösung“, so sagt der Lehrer Wohlergehen zu seinem Schüler, dem Menschen.
Die Welt ist von Schwierigkeiten übersät. In gewissem Sinne ist sie voller Dornen. Aber wenn du Schuhe anziehst, kannst du über die Dornen gehen. Woraus sind diese Schuhe gemacht? Sie sind aus Gottes Gnade gemacht.
Probleme sind kein Zeichen für die Unfähigkeit des Menschen, Probleme sind kein Zeichen für die Unzulänglichkeit des Menschen. Probleme sind ein Zeichen für das bewusste Bedürfnis des Menschen nach Selbsttranszendenz in der inneren Welt und sein bewusstes Bedürfnis nach Selbstvervollkommnung in der äußeren Welt.
Du hast ein Problem, er hat ein Problem, sie hat ein Problem. Dein Problem ist, dass die Welt deine Füße nicht berührt. Sein Problem ist, dass die Welt ihn nicht liebt. Ihr Problem ist, dass sie das Gefühl hat, Gott in der Welt nicht angemessen zu helfen. Um dein Problem zu lösen, musst du deinen Stolz überwinden. Um sein Problem zu lösen, muss er seine Gier überwinden. Um ihr Problem zu lösen, muss sie ihr eigenwilliges und selbstverherrlichendes, verlangendes Ego überwinden.
Jedes Problem ist eine Kraft. Aber wenn wir das Problem sehen, fühlen wir in uns eine noch größere Kraft. Und wenn wir uns dem Problem stellen, beweisen wir dem Problem, dass wir nicht nur die größte Kraft haben, sondern tatsächlich die größte Kraft auf Erden sind.
Ein Problem wächst, wenn das Herz zögert und der Verstand berechnet. Ein Problem verringert sich, wenn das Herz dem Problem die Stirn bietet und der Verstand das Herz unterstützt. Ein Problem verschwindet, wenn der Verstand sein Such-Licht und das Herz sein Erleuchtungs-Licht gebraucht.
Wenn Angst unser Problem ist, müssen wir fühlen, dass wir die auserwählten Soldaten von Gott dem Allmächtigen sind. Wenn Zweifel unser Problem ist, müssen wir fühlen, dass wir tief in uns das Meer von Gottes Licht haben. Wenn Eifersucht unser Problem ist, müssen wir fühlen, dass wir das Einssein von Gottes Licht und Wahrheit sind. Wenn Unsicherheit unser Problem ist, müssen wir fühlen, dass Gott nichts anderes ist und sein kann als die beständige und unaufhörliche Versicherung, dass Er uns ganz als Sein eigen beanspruchen wird.
Wenn unser Körper das Problem ist, dann können unsere beständige Wachsamkeit und Aufmerksamkeit dieses Problem lösen. Wenn das Vitale das Problem ist, dann kann unsere sich emporschwingende Vorstellungskraft dieses Problem lösen. Wenn der Verstand das Problem ist, dann kann unsere erleuchtende Inspiration dieses Problem lösen. Wenn das Herz das Problem ist, dann kann unser vervollkommnendes Streben das Problem lösen. Wenn Leben das Problem ist, dann kann unsere erfüllende Selbst-Entdeckung dieses Problem lösen.
http://www.weisheitsrichinmoys.com/themen/probleme-und-widrigkeitenGott hätte den Menschen von Anfang an vollkommen machen können. Was war Sein Grund, uns in all diese Schwierigkeiten zu bringen, die wir durchstehen müssen, um Vollkommenheit zu erlangen?
Sri Chinmoy:
Gott hätte Seine Schöpfung mit Vollkommenheit beginnen können. Doch leider oder zum Glück war dies nicht Seine Absicht. Was Gott wollte, war durch Unwissenheit zum Wissen, durch Begrenzung zur Fülle und durch Tod zur Unsterblichkeit zu gehen.
In der äußeren Welt sehen wir Begrenzung, Unvollkommenheit, Zweifel, Angst und Tod. Doch in der inneren Welt sehen wir Licht, Frieden, Glückseligkeit und Vollkommenheit. Wenn wir in Gottes Bewusstsein leben, gibt es keine Unvollkommenheit. Alles ist Vollkommenheit.
Gott ist ein göttlicher Spieler. Er spielt Sein göttliches Spiel und Er kennt das letztendliche Ziel. In jedem Moment enthüllt Er sich Selbst in und durch uns, trotz der Tatsache, dass wir einen tiefen Abgrund zwischen uns und Gott sehen, nein, erschaffen. Hinzu kommt, dass wir fühlen, dass Gott im Himmel ist und wir auf der Erde sind. In der physischen Welt sind die Nöte und Schwierigkeiten, die Frustration und Verzweiflung, durch die wir hindurch gehen, nichts als Erfahrungen auf unserem Weg zum letztendlichen Ziel.
Wer macht schließlich all diese Erfahrungen? Es ist Gott, Gott allein. Wenn wir uns bewusst mit Gottes Bewusstsein identifizieren, sehen wir, dass es keine Unvollkommenheit gibt, weil Gott vollkommene Vollkommenheit ist. Aber wenn wir nicht im göttlichen Bewusstsein leben, wenn wir fühlen, dass wir die Handelnden sind, werden wir natürlich der Unvollkommenheit der äußeren Welt unterworfen sein. Was tatsächlich geschieht, ist die Selbstenthüllung Gottes in Seiner manifesten Schöpfung. Ein Sucher des Höchsten, der im Höchsten lebt, der eins ist mit dem Bewusstsein des Höchsten, sieht und fühlt, dass sein Bewusstsein, sein inneres wie sein äußeres Leben, die Projektion von Gottes sich ewig transzendierender Vollkommenheit ist, die in vollkommene Vollkommenheit wächst.
Was hält uns davon ab, Vollkommenheit zu erreichen?
Sri Chinmoy:
Was hält uns davon ab, Vollkommenheit zu erreichen? Unsere Selbstnachgiebigkeit und Vergnügungssucht. Wenn wir nachgiebig gegen uns selbst sind, fühlen wir, dass es in unserem Leben etwas absolut Notwendiges gibt, und das ist Vergnügen. Wenn wir uns nach Vergnügen sehnen und im Vergnügen bleiben wollen, um zum Vergnügen selbst zu werden, dann bleibt Vollkommenheit in weiter Ferne. Aber wenn wir uns nach göttlicher Freude, Wonne und Glückseligkeit sehnen, dann treten wir in den Ozean der Vollkommenheit ein. Wenn wir uns unaufhörlich danach sehnen, lernen wir, im Meer der Vollkommenheit zu schwimmen.
Wenn wir eine intensive innere Sehnsucht nach Wonne haben, springen wir in das Meer der Vollkommenheit. Das ist der erste Schritt. Und wenn diese innere Sehnsucht beständig wird, schwimmen wir im Meer der Vollkommenheit. Wenn wir Freude und Wonne als unser Ziel haben, wächst Vollkommenheit automatisch in uns heran, und allmählich werden wir zum Meer der Vollkommenheit. Doch was uns jetzt von der Vollkommenheit abhält, ist unsere Liebe zum Leben des Vergnügens und unser Schwelgen im Leben des Vergnügens.
http://www.weisheitsrichinmoys.com/themen/vollkommenheitWenn ich an all die Schwächen und ungöttlichen Eigenschaften in mir selber und in meinen spirituellen Gefährten denke, scheint die Erleuchtung Millionen von Meilen entfernt zu sein.
Sri Chinmoy: Wenn jemand wirklich erleuchtet ist, sieht er andere nicht als unvollkommene oder hoffnungslose Menschen. In dem Moment, wo jemand erleuchtet ist, wird er sein wahres Einssein mit anderen fühlen und die so genannten Unvollkommenheiten anderer als eine Erfahrung sehen, die Gott in ihnen und durch sie macht.
Da du mein Schüler bist, möchte ich dir sagen, dass du in dir selbst mehr Unvollkommenheit, mehr Begrenzung, mehr wachsende Nacht siehst als ich mir je vorstellen kann. Für mich bist du absolut normal und natürlich; du bist Gottes Kind, und du hast jede Möglichkeit und Fähigkeit, das Göttliche hier auf Erden zu verwirklichen, zu manifestieren und zu erfüllen. Erleuchtung ist etwas, das du einst hattest, aber jetzt vergessen hast; es ist nichts völlig Neues. Jemand, der wirklich nach Erleuchtung strebt, sollte fühlen, dass er von Licht zu mehr Licht zu unermesslichem Licht wächst. Wenn der Sucher immerzu glaubt, dass er sich tief im Meer der Unwissenheit befindet, dann möchte ich sagen, dass er nie, nie aus der Unwissenheit herauskommen wird, weil das Unwissenheitsmeer kein Ende hat. Doch wenn man fühlt, dass man von einem Funken Licht zum alldurchdringenden höchsten Licht wächst, dann erscheint Erleuchtung sofort leichter und spontaner.
Kannst du uns bitte etwas über Erleuchtung erzählen?
Sri Chinmoy: In dieser Welt gibt es nur eines, das sich zu besitzen lohnt, und das ist Erleuchtung. Um Erleuchtung zu erhalten, brauchen wir Aufrichtigkeit und Demut. Leider ist in dieser Welt Aufrichtigkeit schon längst gestorben und Demut muss erst noch geboren werden. Lasst uns versuchen, unsere Aufrichtigkeit wieder zu beleben, und lasst uns versuchen, durch unser inneres Streben die Geburt unserer Demut zu beschleunigen. Nur dann werden wir fähig sein, Gott zu verwirklichen.
Erleuchtung liegt keineswegs in weiter Ferne. Sie ist sehr nahe, sie ist unmittelbar in uns. In jedem Moment können wir durch unseren inneren Fortschritt bewusst in die Erleuchtung hineinwachsen. Innerer Fortschritt erfolgt durch beständiges Opfer. Was opfern wir? Wir opfern falsche, schlechte Gedanken und ein falsches Verständnis der Wahrheit. Opfer und Entsagung gehen Hand in Hand. Wem entsagen wir? Dem physischen Körper, der Familie, den Freunden, den Verwandten, unserem Land, der Welt? Nein! Wir müssen unserer eigenen Unwissenheit entsagen, unseren eigenen falschen Vorstellungen von Gott und der Wahrheit. Außerdem müssen wir Gott das Ergebnis jeder unserer Handlungen opfern. Die göttliche Schau bleibt nicht länger in weiter Ferne, wenn wir das Ergebnis unserer Handlungen dem Inneren Führer darbringen.
In unserem täglichen Leben sprechen wir oft von Bindung und Freiheit. Doch Verwirklichung sagt, dass es so etwas wie Bindung und Freiheit nicht gibt. Was wirklich existiert ist Bewusstsein – Bewusstsein auf verschiedenen Ebenen, Bewusstsein, das sich in seinen vielfältigen Manifestationen seiner selbst erfreut. Im Bereich der Manifestation hat Bewusstsein verschiedene Stufen. Warum beten wir? Wir beten, weil uns unser Gebet von einer niedrigeren Stufe der Erleuchtung zu einer höheren Stufe führt. Wir beten, weil uns unser Gebet näher zu etwas Reinem, Schönem, Inspirierendem und Erfüllendem führt. Die höchste Erleuchtung ist Gottverwirklichung. Diese Erleuchtung muss nicht nur in der Seele, sondern auch im Herzen, im Verstand, im Vitalen und im Körper stattfinden. Gottverwirklichung ist bewusste, vollständige und vollkommene Vereinigung mit Gott.
Wir wollen die Welt lieben; die Welt will uns lieben. Wir wollen die Welt erfüllen; die Welt will uns erfüllen. Aber es gibt kein Bindeglied zwischen uns und der Welt. Wir haben das Gefühl, dass unsere Existenz und die Existenz der Welt zwei völlig verschiedene Dinge sind. Wir glauben, dass die Welt etwas völlig Getrenntes von uns ist. Aber hier machen wir einen bedauerlichen Fehler. Was ist das Bindeglied zwischen uns und der Welt? Gott. Wenn wir uns zuerst an Gott wenden und Gott in der Welt sehen, dann wird uns die Welt nicht nur unsere Fehler nachsehen, egal wie viele Millionen von Fehlern wir auch begehen, sondern wird uns auch seelenvoll lieben. Genauso werden wir, wenn wir die Fehler, Schwächen und Unvollkommenheiten der Welt sehen, der Welt vergeben können und sie dann inspirieren, beleben und erleuchten, weil wir Gottes Dasein in ihr fühlen.
Wenn wir Gott nicht in all unseren Aktivitäten sehen können, wird sich Frustration in unserem täglichen Leben breit machen. Wie aufrichtig wir auch versuchen mögen, die Welt zufrieden zu stellen, wie aufrichtig die Welt auch versuchen mag, uns zufrieden zu stellen, es wird immer Frustration zwischen unserem Verständnis und dem Verständnis der Welt liegen. Die Quelle der Frustration ist Unwissenheit. Unwissenheit ist die Mutter von verheerender Frustration, zerstörender Frustration und erwürgender Frustration. Wenn wir tiefer in die Unwissenheit eintreten, sehen wir, dass alles ein Spiel der Unbewusstheit ist. Frustration kann aus unserem Leben nur dann vollkommen beseitigt werden, wenn wir in die Quelle allen Daseins eintauchen. Wenn wir in die Quelle unseres eigenen Daseins und des Daseins der Welt eintauchen, nähern wir uns der Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit ist unsere beständige Wonne, und Wonne ist der Atem Gottes.
Diese Welt gehört weder mir noch dir noch irgendjemandem. Niemals. Sie gehört Gott und Gott allein. Daher müssen wir wahrhaft weise sein. Wir müssen zuerst zum Besitzer gehen und nicht zum Besitz. Der Besitz ist hilflos, er kann nichts aus sich selbst heraus tun. Der Besitzer jedoch kann mit dem Besitz tun, was er möchte. Deshalb müssen wir zuerst eins mit Gott werden, und dann werden wir automatisch eins mit Gottes Besitztümern. Wenn wir mit Gott und Seinen Besitztümern eins werden, können wir sicher und unmissverständlich fühlen, dass die Welt uns gehört und wir der Welt.
Unwissenheit und Erleuchtung sind wie Nacht und Tag. Wir müssen zuerst in die Erleuchtung eintreten und dann die Erleuchtung in die Unwissenheits-Nacht tragen. Wenn wir versuchen, die Unwissenheit andersherum zu erleuchten, wird die Verwandlung der Unwissenheit schwierig, langsam und ungewiss sein. Das Reich der Unwissenheit zu betreten, heißt einen negativen Weg zu gehen. Wenn wir den Weg der Dunkelheit einschlagen und versuchen das Licht in der Dunkelheit zu finden, wählen wir den negativen Weg. Die beste Weise, die positive Weise, Licht zu finden, besteht darin, dem Pfad des Lichts zu folgen – dem Pfad von mehr Licht, unermesslichem Licht, unendlichem Licht. Wenn wir dem Pfad des Lichts folgen, wird Erleuchtung unweigerlich in uns erwachen.
Lasst uns nach oben schauen und das Licht von oben herab bringen. In dem Moment, da wir nach oben schauen, kommt Gottes Gnade herab. Es ist das Wesen von Gottes Gnade, auf jeden einzelnen Menschen auf Erden herabzuströmen. Wenn wir mit der Unwissenheit zu Gott hinauf steigen wollen, so ist es, als wollten wir einen Berg mit einem schweren Gewicht auf unseren Schultern erklimmen. Das ist natürlich eine schwierige Aufgabe. Stattdessen können wir am Fuße des Berges bleiben und nach Gottes Gnade rufen, die bereit ist und nur darauf wartet, zu uns vom Höchsten herab zu kommen. Für Gott ist es natürlich unendlich viel leichter, zu unserer Unwissenheit herab zu steigen, als es für uns ist, unsere Unwissenheit hinauf zu Gott zu tragen.
Erleuchtung ist das bewusste Gewahrsein der Seele. Erleuchtung ist die bewusste Schau der Wirklichkeit, die dabei ist, manifestiert zu werden. Erleuchtung ist Möglichkeit in Durchführbarkeit verwandelt. Erleuchtung ist wie der göttliche Zauberstab Gottes. In dieser Welt benutzt ein Zauberer seinen Zauberstab, um einen Gegenstand in einen anderen zu verwandeln. Wenn Gott in der Welt Erleuchtung benutzt, tritt das endliche Bewusstsein der Erde augenblicklich in das Unendliche ein und wird zum Unendlichen.
Erleuchtung ist die erste Erkenntnis oder Verwirklichung der Menschheit von Gottes allmächtiger Kraft, Gottes grenzenlosem Mitleid, Seinem unendlichen Licht und Seiner vollkommenen Vollkommenheit. Unsere Erleuchtung lässt uns erfahren, wer Gott wirklich ist. Vor der Erleuchtung ist Gott theoretisch, nach der Erleuchtung wird Gott praktisch. Erleuchtung ist also die göttliche Zauberkraft, die uns die Wirklichkeit sehen lässt, die zuerst nur Vorstellung war. Wenn Erleuchtung in einem Menschen erwacht, ist Gott nicht länger ein Versprechen, sondern eine tatsächliche Errungenschaft.
Erleuchtung findet im Verstand und im Herzen statt. Wenn der Verstand erleuchtet ist, werden wir zu Gottes Wahl. Wenn das Herz erleuchtet ist, werden wir zu Gottes Stimme. Hier in der physischen Welt hat sich der Verstand sehr stark herausgebildet. Weil der Mensch seinen intellektuellen Verstand entwickelt hat, ist er den Tieren überlegen geworden, denn die Ebene des Verstandes ist höher als die Ebene des Physischen oder des Vitalen. Zwar hat der Mensch die Fähigkeit des Verstandes kultiviert, aber die Fähigkeit des Herzens hat er noch nicht kultiviert. Wenn wir die Fähigkeit des Herzens entwickeln, werden wir sehen, dass seine Fähigkeit viel größer ist als wir uns vorgestellt haben. Wenn wir in unserem Herzen das einzigartige Gefühl dafür entwickeln, dass wir von Gottes höchster Vision stammen und für Gottes vollkommene Manifestation bestimmt sind, wird Erleuchtung stattfinden.
http://www.weisheitsrichinmoys.com/themen/erleuchtungKönntest du bitte den Unterschied zwischen der Körper-Wirklichkeit und der Seelen-Wirklichkeit erklären?
Sri Chinmoy:
Einmal ging Troilanga Swami in der Nähe des Palastes eines indischen Königs die Straße entlang. Dieser König war ein großer Verehrer von ihm. Als der König hörte, dass Troilanga Swami in der Nähe war, lief er persönlich hinaus und holte ihn in seinen Palast. Der Meister war nackt, deshalb zogen ihm die Diener des Königs edle, kostbare Kleider an und er sah außerordentlich gut darin aus. Dann servierten sie ihm die köstlichsten Speisen. Der König und sein Hofstaat wurden vom Meister gesegnet und dann führten sie eine lange Unterhaltung mit ihm, obwohl er gewöhnlich kein Mann vieler Worte war. Manchmal sprach er viele Monate lang nicht.
Als Troilanga Swami den Palast verließ, um zu seiner Hütte zurückzukehren, beobachteten ihn einige der Palastwächter aus der Ferne. Als er fast außer Sichtweite war, griffen ihn drei Vagabunden an und nahmen ihm all die wertvollen Kleider weg, die ihm der König geschenkt hatte. Da liefen die Wachen herbei und verhafteten die Vagabunden. Dann baten sie Troilanga Swami, zum Königspalast zurück zu kommen und er willigte ein.
Als der König hörte, was passiert war, wollte er die Vagabunden bestrafen und ins Gefängnis werfen. Aber Troilanga Swami sagte: „Nein, tu das nicht. Für mich macht es keinen Unterschied, ob ich diese Kleider habe oder nicht. Meine Seele wird in keiner Weise davon berührt, wenn ich keine Kleider habe. Lange bevor du mir die Kleider gabst, hatte ich meine Seele in meinem Körper, und das ist das einzig Wirkliche. Was soll ich mit den Dingen, die kein Bedürfnis meiner Seele erfüllen?“ Und so wurden die Vagabunden frei gelassen und der Meister ging friedlich seiner Wege.
Die Körper-Wirklichkeit braucht für ihre Zufriedenheit Dekoration, Schmuck und Verschönerung. Die Seelen-Wirklichkeit braucht für ihre ewige Zufriedenheit nur ihr Einssein mit der Unsterblichkeit der Unendlichkeit.
Der Körper ist sterblich, während die Seele ewig ist. Welche Bedeutung hat es, einen Körper zu haben?
Sri Chinmoy:
Die Seele ist ewig und der Körper ist vergänglich, das ist wahr. Doch wir müssen uns der höchsten Bedeutung dreier Dinge bewusst sein. Diese sind erstens die Verkörperung der Wahrheit, zweitens die Enthüllung der Wahrheit, drittens die Manifestation der Wahrheit. Hier auf der Erde und durch den physischen Körper kann die Seele ihre eigene Göttlichkeit manifestieren, welche unendlicher Frieden, unendliches Licht und unendliche Glückseligkeit sind. Diese Erde ist das Feld der Manifestation und gleichzeitig ist diese Erde das Feld der Verwirklichung. Gott-Verwirklichung kann nur hier auf Erden erlangt werden und nicht in anderen Sphären, nicht auf anderen Planeten, nicht in anderen Welten. Daher müssen diejenigen, die Gott-Verwirklichung wollen, in diese Welt kommen. Die Seele muss den Körper annehmen, weil der Körper hier auf der Erde absolut notwendig ist, um die Göttlichkeit der Seele zu manifestieren.
Auf der einen Seite kann der Körper nicht mehr funktionieren, wenn die Seele den Körper verlässt; der Körper stirbt. Auf der anderen Seite, wenn die Seele manifestieren will, muss dies im Körper und mit dem Körper geschehen. Deshalb müssen wir wissen, was wir tatsächlich wollen. Wenn wir den Körper ablehnen, den Körper zerstören wollen, was kann dann die Seele tun? Sie muss den Körper verlassen. Doch wenn wir hier auf Erden etwas erreichen wollen und wir die Notwendigkeit fühlen, das Königreich des Himmels hier auf Erden zu begründen, dann muss dies mit der bewussten Hilfe des Körpers geschehen. In der Katha Upanishad heißt es: „Die Seele ist der Meister, der Körper ist der Wagen, die Vernunft oder der Intellekt ist der Wagenlenker und der Verstand die Zügel.“ Der Körper braucht die Seele, die Seele braucht den Körper. Für die Verwirklichung der höchsten und tiefsten Wahrheit braucht der Körper die Seele; für die Manifestation der höchsten und tiefsten Wahrheit braucht die Seele den Körper.
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