Der Wunsch, sich mit Gleichgesinnten zusammenzuschliessen, ist gross. Und gross ist die Sehnsucht nach neuen Lebensformen. Die Sorge um die Umwelt hat in den letzten beiden Jahrzehnten weltweit viele sogenannte Öko-Dörfer wie Sennrüti entstehen lassen. Im Zuge der Pandemie ist ein neues Element dazugekommen: das überhitzte gesellschaftliche Klima, das Konflikte und Spaltungen schafft. Der Trend führt weg von den städtischen Ballungszentren, wo die Kontrolle stärker greift. Das gemeinschaftliche Leben als Selbstversorger auf dem Lande mag heute noch eine Nische sein. Geht die Spaltung der Gesellschaft weiter, könnte sich das ändern.
In Degersheim nimmt man bereits eine gesteigerte Nachfrage wahr, erzählt René Duveen. Die Mehrzahl der Interessierten stamme aus Deutschland. Und fast alle dieser Anfragen haben mit der Pandemie zu tun: Man hat schlechte Erfahrungen mit dem autoritär auftretenden Staat gemacht und sucht sich jetzt eine Insel in der moderaten Insel Schweiz. «Viele der Leute, die sich bei uns melden, möchten unbedingt das Land verlassen», sagt Duveen. In solchen Fällen sei man zurückhaltend. «Hat jemand einen fundamentalen Konflikt, etwa mit der Obrigkeit, soll er ihn zuerst für sich anschauen und lösen. Wir sind nicht der richtige Ort dafür.» Um falsche Vorstellungen zu klären und weil jeder neue Zugang das Gleichgewicht der Gemeinschaft beeinflussen kann, gibt es für Interessierte eine längere Testphase mit Seminaren, Probewohnen und letztlich einer Konsensentscheidung. Rund ein Jahr kann es bis zum Einzug dauern.
NZZ von heute, S. 18