Prelest

Ein maximal zensurfreies Gesprächsangebot im Rahmen oadischer Entwicklungszusammenarbeit: Zufriedenwerden, Yoga, Xenographie, Wissenschaft(skritik), Verstehenlernen, Umweltschutz, Träume, Spiritualität, Religion, Quantenwelt, Permakultur, Oadischsein, Nachrichten, Minimalismus, Liebeleben, Konsumsekte, Jesus, Inspiration, Heimat, Gott, Freidenker, Esoterik, Denken, Christenheit, Buddhismus, Aussteigen ~ (Gastzugang unter Name & Passwort = Anonym)
Marsianer
Beiträge: 3579
Registriert: Sa 3. Okt 2015, 11:42

Prelest

Beitragvon Marsianer » So 19. Sep 2021, 19:39

Was meint ihr dazu?
Das kirchenslawische Wort „Prelest“ (прелесть, wörtl.: „All-Schmeichel“, „All-Lüge“), auch heute noch in Bezug auf spirituelles Leben viel verwendet, bedeutet „Irrtum, Täuschung, Verleitung, Blendwerk, Lüge, Betrug“ und ist ein Begriff, zu dem es in den europäischen Sprachen kein Äquivalent gibt. Es wird als „spirituelle Täuschung“ („spiritual delusion“), „spiritueller Irrtum“ („spiritual deception“) oder „Illusion“, „Selbstverblendung“, „religiöse Selbstüberschätzung“ übersetzt, also die irrige Annahme einer Illusion als Wirklichkeit im Gegensatz zu spiritueller Nüchternheit. Außerhalb des spirituellen Kontexts wird dieses Wort auf Russisch häufig im Sinne von „Charme“, „Attraktivität“ verwendet.

[...]

Prelest ist die Beschädigung der menschlichen Natur durch die Lüge. Prelest ist der Zustand aller Menschen ohne Ausnahme, welcher durch den Sündenfall unserer Ahnen bewirkt wurde. Wir befinden uns alle im Zustand der Prelest (vgl. den Anfang der 3. Homilie des Ehrwürdigen Simeon dem Neuen Theologen, veröffentlicht 1852 im Optina-Pustyn-Kloster). Das Wissen darum ist der beste Schutz gegen weitere Prelest. Die größte Prelest ist, sich von Prelest frei zu dünken. Wir sind alle betrogen, alle verleitet, befinden uns alle im falschen Zustand und benötigen die Befreiung durch die Wahrheit. Diese Wahrheit ist unser Herr Jesus Christus (Joh. 8,32; 14,6). Mögen wir uns diese Wahrheit durch den Glauben zu eigen machen; flehen wir zu dieser Wahrheit im Gebet, und sie wird uns aus der Untiefe der Selbsttäuschung und Verführung durch die Dämonen herausziehen. Bitterlich ist unser Zustand! Er ist ein Gefängnis, aus dem wir unsere Seele herauszuführen flehen, damit wir den Namen des Herrn preisen (Ps. 142,8). Er ist jene finstere Erde, in die unser Leben durch den Feind niedergeworfen wurde, der uns beneidet und verfolgt hat (Ps. 143,8). Er ist die Gesinnung des Fleisches (Röm. 8,6) und die fälschlich so genannte Kenntnis (1 Tim. 6,20), mit der die ganze Welt verseucht ist, die die eigene Krankheit nicht anerkennt und sie als blühende Gesundheit ansieht. Er ist Fleisch und Blut, die das Reich Gottes nicht ererben können (1 Kor. 15,50). Er ist der ewige Tod, welchen der Herr Jesus Christus heilt und vernichtet, der die Auferstehung und das Leben ist (Joh. 11,25). Solcherart ist unser Zustand. Die Erkenntnis dessen ist ein neuer Anlass zu Tränen. Mögen wir in Tränen zu dem Herrn Jesus flehen, damit ER uns aus dem Gefängnis herausführt, aus den irdischen Ungrunden herauszieht, aus dem Maul des Todes herausreißt. „Unser Herr Jesus Christus“, sagt der Ehrwürdige Simeon der Neue Theologe, „ist eben darum zu uns herniedergestiegen, weil er uns aus dem Gefängnis und der bösesten Prelest herausnehmen wollte“ (Anfang der 3. Homilie).

[...]

Mir geschah einmal folgender bemerkenswerter Fall. Ich wurde von einem Schema-Mönch aus Athos besucht, der in Russland Spenden sammelte. Wir setzten uns in meine vordere Zelle, und er begann zu erzählen: „Bete für mich, Vater, da ich viel schlafe und viel esse.“ Während er mir das sagte, verspürte ich die Hitze, die von ihm ausging; daher antwortete ich ihm: „Weder schläfst du noch isst du viel, aber gibt es in dir nicht etwas Besonderes?“. Und ich bat ihn, in meine innere Zelle hineinzukommen. Während ich vor ihm herging und die Tür zur inneren Zelle öffnete, bat ich Gott in Gedanken darum, ER möge meiner dürstenden Seele ermöglichen, von diesem Priester und Schemamönch aus Athos geistlichen Gewinn zu erhalten, falls er ein wahrer Knecht Gottes sei. Genau: ich bemerkte an ihm etwas Besonderes. In der inneren Zelle setzten wir uns zum Gespräch, und ich begann ihn zu bitten: „Gewähre mir eine Gnade: lehre mich beten. Du lebst in dem monastischen Ort, der auf Erden der Erste ist, mitten unter Tausenden von Mönchen: an einem Ort, wo so viele Mönche sich versammelt haben, müssen sich sicherlich die größten Beter befinden, die das geheime innere Tun des Gebets kennen und es ihren Nächsten beibringen, nach dem Vorbild von Gregor dem Sinait, Gregor Palamas und viele andere Athos-Leuchten“. Der Priester-Schemamönch stimmte sofort zu, mein Lehrer zu werden - was für ein Schreck! Höchst erhitzt begann er, mir die oben genannte Methode des exaltierten, verträumten Gebets zu vermitteln. Ich sah, dass er sich in grässlicher Erhitzung befand, dass bei ihm sowohl das Blut als auch das Einbildungsvermögen erhitzt waren, und dass er sich also in Selbstgefälligkeit, in Selbstentzückung, in Selbstverführung, in Prelest befand! Nachdem ich ihn hatte aussprechen lassen, begann ich nach und nach, in der Art eines gelehrigen Schülers, ihm die Lehre der heiligen Väter über das Gebet vorzustellen, wobei ich sie in der Philokalie aufzeigte und ihn bat, mir diese Lehre zu erklären. Der Athonit wurde ganz konfus. Ich sah, dass ihm die Lehre der Väter über das Gebet recht wenig vertraut war. Unser Gespräch ging weiter, und ich sagte ihm: „Siehe zu, Starez, dass du, während du in St. Petersburg wohnst, keinesfalls eine Wohnung im oberen Geschoss nimmst; nimm unbedingt eine Wohnung im Untergeschoss.“ „Warum?“, fragte der Athonit. „Damit die Engel“, - antwortete ich, „falls sie auf die Idee kommen sollten, dich zu entrücken und von St. Petersburg nach Athos zu bringen, und sie dich aus dem Obergeschoß tragen und doch fallen lassen, du zu Tode stürzen würdest; wenn sich dich aber aus dem Untergeschoss tragen und fallen lassen, wird es dir nur ein wenig weh tun.“ „Stell dir vor“, sagte der Athonit, „ schon mehrmals kam mir, während ich betete, der lebhafte Gedanke, dass Engel mich entrückten und nach Athos brächten!“ Es stellte sich heraus, dass der Priester-Schemamönch Fesseln trug, fast gar nicht schlief, sehr wenig Essen zu sich nahm und im Körper derartige Hitze verspürte, dass er im Winter keine warme Kleidung brauchte. Zum Ende des Gesprächs kam mir der Gedanke, den Athoniten zu bitten, als Faster und geistlicher Vorkämpfer an sich die Methode auszuprobieren, die von den heiligen Vätern überliefert ist und darin besteht, dass sich der Verstand während des Gebets jeglicher Schwärmerei enthalte und sich ganz in die Worte des Gebets versenke; dass er sich, nach dem Ausspruch des Heiligen Johannes Klimakos, in die Worte des Gebets einschließt und einnistet (Klimax. Wort 28, Kap. 17). Dabei steht das Herz normalerweise dem Verstand durch das heilsame Gefühl der Trauer über die eigenen Sünden bei, so wie der Heilige Mönch Markus der Asket gesagt hatte: „Der Verstand, der unabgelenkt betet, engt das Herzen ein: und ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wird Gott nicht verachten (Ps. 51,19; Kapitel, über jene, die meinen, aus Werken gerechtfertigt zu werden, Kapitel 34, Philokalie, Band 1). „Nachdem du es bei dir erprobt hast“, sagte ich dem Athoniten, „gebe auch mir über die Frucht deiner Erfahrung Bescheid; für mich selbst ist eine solche Erfahrung nicht bequem, da ich ein zerstreutes Leben führe.“ Der Athonit ließ sich auf meinen Vorschlag gerne ein. Nach einigen Tagen kam er zu mir und sagte: „Was hast du mit mir gemacht?“ – „Was denn?“ – „Tja, als ich probierte, mit Aufmerksamkeit zu beten und dabei den Verstand in die Worte des Gebets einzuschließen, sind all meine Visionen verschwunden, und ich kann nicht mehr zu ihnen zurückkehren“. Ferner sah ich im Gespräch mit dem Athoniten keine Anmaßung und Hochmut mehr, die bei unserem ersten Treffen noch so sichtbar gewesen waren und üblicherweise in Leuten sichtbar sind, die sich in verführerischer Selbsttäuschung befinden und sich für heilig oder spirituell fortgeschritten halten. Der Athonit äußerte sogar den Wunsch, sich meinen armseligen Ratschlag anzuhören. Als ich ihm riet, sich in seinem äußeren Lebensstil von den anderen Mönchen nicht zu unterscheiden, da solches Unterscheiden zu Hochmut führe (Klimax. Wort 4, Kap. 82, 83. hl. Mönch Barsonuphios der Große. Antwort 275. Die Vita und die Belehrungen des hl. Mönches Apollos. Alphabetisches Paterikon), legte er seine Fesseln ab und gab sie mir. Einen Monat später war er wieder bei mir und sagte, dass er keine Hitze mehr im Körper habe, warme Kleidung benötige und viel mehr schlafe. Dabei sagte er, dass auf dem Berg Athos viele, auch von denen, die den Heiligkeitsruhm haben, die Gebetsmethode praktizieren, die auch er praktiziert habe, und sie auch den Anderen beibringen. Dies ist auch nicht erstaunlich! Der Heilige Simeon der Neue Theologe hatte acht Jahrhunderte vor unserer Zeit gesagt, dass nur sehr Wenige das aufmerksame Gebet üben (Über die dritte Form des Gebets. Philokalie, Teil 1). Als der hl. Mönch Gregor der Sinait, der im 14. Jahrhundert nach Geburt Christi lebte, auf dem Berg Athos ankam, fand er, dass viele Mönche keine Ahnung über das innere Gebet hatten und nur die körperliche Askese übten, wobei die Gebete mündlich und laut verlesen wurden (s. die Vita des hl. Gregor dem Sinaiten. Philokalie, Teil 1). Der hl. Mönch Nilus von Sora, der Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts lebte und auch den Berg Athos besuchte, sagte, dass in seiner Zeit die Anzahl aufmerksamer Beter sich extrem verringert habe (Vorwort der Überlieferung des Skitenstatuts). Der Starez Archimandrit Paisij (Welitschkowski) zog 1747 von Moldawien auf den Berg Athos. Er machte sich rasch mit allen Klöstern und Skiten bekannt und sprach mit vielen Starzen, die nach einhelliger Meinung des Heiligen Berges als die erfahrensten und heiligsten Mönche galten. Als er aber anfing, diese Mönche nach den Büchern der Heiligen Väter, die über das innere Gebet geschrieben hatten, zu fragen, stellte sich heraus, dass sie nicht nur von der Existenz dieser Schriften nichts wussten, sondern nicht einmal die Namen der heiligen Schriftsteller kannten; damals gab es die Philokalie nicht auf Griechischen Sprache gedruckt (Ein Abschnitt aus einem Brief des Starzen Paisij an den Starzen Theodosius. Die Schriftwerke Paisijs. Ausgabe des Optina-Pustyn-Klosters).

https://www.orthpedia.de/index.php/Prelest

Agape
Beiträge: 1779
Registriert: Fr 24. Jul 2020, 19:40

Re: Prelest

Beitragvon Agape » Mo 20. Sep 2021, 10:55

Marsianer hat geschrieben:Was meint ihr dazu?

Es wird als „spirituelle Täuschung“ („spiritual delusion“), „spiritueller Irrtum“ („spiritual deception“) oder „Illusion“, „Selbstverblendung“, „religiöse Selbstüberschätzung“ übersetzt, also die irrige Annahme einer Illusion als Wirklichkeit im Gegensatz zu spiritueller Nüchternheit.

Ja, es ist oft eine "ernüchternde" Erfahrung, die sehr wenig mit der Realitätsflucht in eine "rosa Wolke" zu tun hat, wo alles gerne als gut und im Licht gesehen werden will, nur weil man sich mit dem anderen lieber nicht beschäftigen möchte - seien es eigene Schattenseiten - oder Finsternisse, die der Welt zugeschrieben werden.

Prelest ist die Beschädigung der menschlichen Natur durch die Lüge.

Was ist hier wohl mit "menschlicher" Natur gemeint? Wird davon ausgegangen, dass diese "vollkommen" sei? Oder ist damit die ursprüngliche Natur der Seele gemeint, so wie sie einst von Gott geschaffen wurde?

Prelest ist der Zustand aller Menschen ohne Ausnahme, welcher durch den Sündenfall unserer Ahnen bewirkt wurde.

Wobei ich mir vorstelle, dass dieser Zustand von Seele zu Seele unterschiedlich ist, je nach der Art des Geistes, dem die einzelne Seele folgt - aus dem sie lebt.

Die größte Prelest ist, sich von Prelest frei zu dünken.

Ja, wobei eine zu ausschliessliche Beschäftigung damit die Gefahr in sich bergen könnte, noch tiefer in einen finsteren Zustand hineinzugeraten.

Wir sind alle betrogen, alle verleitet, befinden uns alle im falschen Zustand und benötigen die Befreiung durch die Wahrheit. Diese Wahrheit ist unser Herr Jesus Christus (Joh. 8,32; 14,6). Mögen wir uns diese Wahrheit durch den Glauben zu eigen machen; flehen wir zu dieser Wahrheit im Gebet, und sie wird uns aus der Untiefe der Selbsttäuschung und Verführung durch die Dämonen herausziehen.

Glaube heisst auch (seelische) Liebe zu Jesus, diese Liebe verbunden mit einem Wollen aus tiefstem Herzen wird uns für die Wahrheit empfänglicher machen. Durch das Ergreifen göttlichen Geistes werden wir zunehmend "sehender" und können Wahrheit und (Selbst)täuschung besser voneinander unterscheiden. Das soll uns aber nicht zum Hochmut verleiten, uns über andere Menschen zu stellen, sondern eher ein Anstoss dazu sein, uns für Mitmenschen einzusetzen, wo immer sich auch die Gelegenheit dazu bietet.
"Schreiben ist der direkte Weg zum Herzen"
http://jakobgut.de/erdnuss.htm

Marsianer
Beiträge: 3579
Registriert: Sa 3. Okt 2015, 11:42

Re: Prelest

Beitragvon Marsianer » Mo 20. Sep 2021, 12:23

Agape hat geschrieben:Ja, es ist oft eine "ernüchternde" Erfahrung, die sehr wenig mit der Realitätsflucht in eine "rosa Wolke" zu tun hat, wo alles gerne als gut und im Licht gesehen werden will, nur weil man sich mit dem anderen lieber nicht beschäftigen möchte - seien es eigene Schattenseiten - oder Finsternisse, die der Welt zugeschrieben werden.

Ein möglicher Ansatz, im verlinkten Artikel fand ich diese Stelle markant:
Die sich eingeschlichen habende Meinung äußert sich in den Asketen dadurch, dass sie, wenn sie über sich denken, dass sie ein aufmerksames Leben führen, aus Stolz häufig die Anderen verachten und schlecht über sie sprechen; sich ihrer eigenen Meinung nach für würdig halten, Hirten der Schafe und Leiter zu sein, wobei sie dem Blinden ähneln, der es wagt, anderen Blinden den Weg zu zeigen.

Einerseits findet sich darin hierarchisches Denken, das ich an sich schon auch problematisch finde, wenn quasi dem "Untergebenen" nicht mehr zugestanden wird andere an ihren Früchten zu erkennen, wozu er laut NT ja immerhin aufgerufen wäre. Dann wirkt es auf mich einerseits berechtigt darauf hinzuweisen, daß nicht jedes Gesicht, etc. von Gott und den Seinen herkommen muß, das ist so biblisch. Genauso ist allerdings auch biblisch, daß es solches Erleben eben durchaus gibt, das eben tatsächlich von Gott und den Seinen kommt. Menschen, die sich heute als Christen verstehen tun solche Dinge teils auch sehr vorschnell ab oder sind kaum bereit soetwas ernsthafter als Glaubenswirklichkeit in Betracht zu ziehen. Wieso sollte man da nicht ebenso von antimystischem Prelest ausgehen? Denn diese wähnen sich ja wohl auch gerne als überlegen, wissender. So einfach ist das auch aus biblischer Sicht (ohne atheistisch-antichristliches Framing) nicht.
Was ist hier wohl mit "menschlicher" Natur gemeint? Wird davon ausgegangen, dass diese "vollkommen" sei? Oder ist damit die ursprüngliche Natur der Seele gemeint, so wie sie einst von Gott geschaffen wurde?

Ich vermute etwas wie das Letztere.
Das soll uns aber nicht zum Hochmut verleiten, uns über andere Menschen zu stellen, sondern eher ein Anstoss dazu sein, uns für Mitmenschen einzusetzen, wo immer sich auch die Gelegenheit dazu bietet.

Das wirkt auf mich stimmig.

Agape
Beiträge: 1779
Registriert: Fr 24. Jul 2020, 19:40

Re: Prelest

Beitragvon Agape » Mo 20. Sep 2021, 14:27

Marsianer hat geschrieben:
Agape hat geschrieben:Ja, es ist oft eine "ernüchternde" Erfahrung, die sehr wenig mit der Realitätsflucht in eine "rosa Wolke" zu tun hat, wo alles gerne als gut und im Licht gesehen werden will, nur weil man sich mit dem anderen lieber nicht beschäftigen möchte - seien es eigene Schattenseiten - oder Finsternisse, die der Welt zugeschrieben werden.

Ein möglicher Ansatz, im verlinkten Artikel fand ich diese Stelle markant:

Die sich eingeschlichen habende Meinung äußert sich in den Asketen dadurch, dass sie, wenn sie über sich denken, dass sie ein aufmerksames Leben führen, aus Stolz häufig die Anderen verachten und schlecht über sie sprechen; sich ihrer eigenen Meinung nach für würdig halten, Hirten der Schafe und Leiter zu sein, wobei sie dem Blinden ähneln, der es wagt, anderen Blinden den Weg zu zeigen.

Wann wäre wohl der Punkt erreicht, an dem statt eines Blinden ein "Sehender" anderen Blinden den Weg zeigt? Solange er denken würde, dass er blind sei, würde er sich vielleicht zurückhalten, jemanden den Weg zu zeigen? Oder sollte er den Weg zeigen, obwohl er sich selbst als blind empfindet?

Marsianer hat geschrieben:Einerseits findet sich darin hierarchisches Denken, das ich an sich schon auch problematisch finde, wenn quasi dem "Untergebenen" nicht mehr zugestanden wird andere an ihren Früchten zu erkennen, wozu er laut NT ja immerhin aufgerufen wäre. Dann wirkt es auf mich einerseits berechtigt darauf hinzuweisen, daß nicht jedes Gesicht, etc. von Gott und den Seinen herkommen muß, das ist so biblisch. Genauso ist allerdings auch biblisch, daß es solches Erleben eben durchaus gibt, das eben tatsächlich von Gott und den Seinen kommt. Menschen, die sich heute als Christen verstehen tun solche Dinge teils auch sehr vorschnell ab oder sind kaum bereit soetwas ernsthafter als Glaubenswirklichkeit in Betracht zu ziehen. Wieso sollte man da nicht ebenso von antimystischem Prelest ausgehen? Denn diese wähnen sich ja wohl auch gerne als überlegen, wissender. So einfach ist das auch aus biblischer Sicht (ohne atheistisch-antichristliches Framing) nicht.

Ich sehe hier Parallelen zum Thema "Sadguru". Es braucht ja immer zwei dazu - einen, der sich selbst erhöht - und den anderen, der Ersteren erhöht, auch wenn dieser einer solchen Erhöhung gar nicht würdig ist. Was wäre, wenn beide ein solches wertendes "Einordnen" unterlassen würden? Wenn jeder für sich die Einstellung hätte, dass alles "Lichte" in ihm letztlich "von Gott" herkommt, dass er sich also eher als Werkzeug und weniger als "Eigenschöpfer" sieht, der dazu "berechtigt" ist, an "seiner Eigenschöpfung" festzuhalten, sie ausschliesslich für sein eigenes Werk auszugeben, obwohl ohne Gnade Gottes nichts Vollkommenes vom Menschen selbst geschaffen werden kann.
"Schreiben ist der direkte Weg zum Herzen"
http://jakobgut.de/erdnuss.htm

Marsianer
Beiträge: 3579
Registriert: Sa 3. Okt 2015, 11:42

Re: Prelest

Beitragvon Marsianer » Mi 22. Sep 2021, 09:19

Agape hat geschrieben:Wann wäre wohl der Punkt erreicht, an dem statt eines Blinden ein "Sehender" anderen Blinden den Weg zeigt? Solange er denken würde, dass er blind sei, würde er sich vielleicht zurückhalten, jemanden den Weg zu zeigen? Oder sollte er den Weg zeigen, obwohl er sich selbst als blind empfindet?

Berechtigte Fragen, der dort interviewte Christ meint offenbar von sich ja, er könne so einiges dazu sagen. Aber die Punkte wie auf andere herabzusehen sind schon auch berechtigt als Hinweis? Aber was bedeutet das? Was wäre sich selbst als groß empfinden und daraus eigentlich klein sein?

"Sie aber schwiegen stille; denn sie hatten auf dem Wege unter sich besprochen, welcher der Größte wäre. Und Er setzte Sich, rief die Zwölfe und sprach zu ihnen: So einer will der Erste sein, der soll der Letzte von allen und aller Diener sein." Mk 9,34+35

Ich würde dazu sagen, es könnte hier wieder um das Thema "Anstrahlung" gehen. Such jemand "Anstrahlung" durch andere Menschen und will daher als groß gelten, dann täte er dies wohl nicht aus der göttlichen Quelle. Er würde etwas suchen, statt aus Agape frei geben zu wollen. Auf andere herabsehen, etwas schwierig. Manche Kommentare, die von Jesus überliefert sind, ließen sich ebenfall so deuten?
Es braucht ja immer zwei dazu - einen, der sich selbst erhöht - und den anderen, der Ersteren erhöht,

Manche bekommen das wohl auch alleine hin? ;)

Gut, es wäre die Frage, was wäre, wenn gar kein Mitmensch auf derlei "Selbstüberzeugtheit" in Resonanz treten würde. Dann würde es wohl schon irgendwie ins Leere laufen oder die Person eventuell körperlich gewalttätig werden.

Agape
Beiträge: 1779
Registriert: Fr 24. Jul 2020, 19:40

Re: Prelest

Beitragvon Agape » Mi 22. Sep 2021, 10:43

Marsianer hat geschrieben:
Agape hat geschrieben:Wann wäre wohl der Punkt erreicht, an dem statt eines Blinden ein "Sehender" anderen Blinden den Weg zeigt? Solange er denken würde, dass er blind sei, würde er sich vielleicht zurückhalten, jemandem den Weg zu zeigen? Oder sollte er den Weg zeigen, obwohl er sich selbst als blind empfindet?

Was wäre sich selbst als groß empfinden und daraus eigentlich klein sein?

Gross und klein bedingen einander. Wer sich als gross empfindet, vergleicht sich mit kleineren - er könnte sich aber ebenso gut auch mit "noch grösseren" vergleichen, dann würde er sich wieder eher als klein(er) empfinden. Sich mit kleineren zu vergleichen könnte heissen, nicht mehr weitergehen zu wollen, denn man ist ja bereits gross - sozusagen schon am Ziel angekommen. In diesem Sinne wäre es eher günstiger, sich mit grösseren zu vergleichen, denn das würde Bewegung erzeugen und weniger Stagnation.

Wo will der Mensch letztendlich hingehen? Strebt er nach Grösse in der Welt - oder eher nach geistiger Grösse? Ist jemand tatsächlich geistig gross, nur weil er sich in diesem Lichte sieht? Oder erkennt er die wahre Grösse Gottes erst, wenn er sich selbst so sieht, wie er wirklich ist?

Marsianer hat geschrieben:
Agape hat geschrieben:Es braucht ja immer zwei dazu - einen, der sich selbst erhöht - und den anderen, der Ersteren erhöht,
Gut, es wäre die Frage, was wäre, wenn gar kein Mitmensch auf derlei "Selbstüberzeugtheit" in Resonanz treten würde. Dann würde es wohl schon irgendwie ins Leere laufen oder die Person eventuell körperlich gewalttätig werden.

Falls diese "Selbstüberzeugtheit" auf wackeligem Grunde steht, wird der Krug wohl so lange zum Brunnen getragen werden müssen, bis er bricht. Darin involvierte andere Menschen haben dabei ihr Eigenes zu lösen - deshalb war oben von "zwei" die Rede. Aber was hätte jemand davon, alleine der "Grösste" zu sein? Läge darin der Reiz, der ihn dazu angetrieben hat? Ich denke, dass dies eher nicht der Fall wäre, deshalb würde dieser Anspruch so lange auf die Spitze getrieben werden, bis er auf Widerstand stösst.
"Schreiben ist der direkte Weg zum Herzen"
http://jakobgut.de/erdnuss.htm

Marsianer
Beiträge: 3579
Registriert: Sa 3. Okt 2015, 11:42

Re: Prelest

Beitragvon Marsianer » Mi 22. Sep 2021, 12:18

Agape hat geschrieben:Gross und klein bedingen einander. Wer sich als gross empfindet, vergleicht sich mit kleineren - er könnte sich aber ebenso gut auch mit "noch grösseren" vergleichen, dann würde er sich wieder eher als klein(er) empfinden.

Vielleicht.
Sich mit kleineren zu vergleichen könnte heissen, nicht mehr weitergehen zu wollen, denn man ist ja bereits gross - sozusagen schon am Ziel angekommen. In diesem Sinne wäre es eher günstiger, sich mit grösseren zu vergleichen, denn das würde Bewegung erzeugen und weniger Stagnation.

Hm.
Wo will der Mensch letztendlich hingehen? Strebt er nach Grösse in der Welt - oder eher nach geistiger Grösse? Ist jemand tatsächlich geistig gross, nur weil er sich in diesem Lichte sieht? Oder erkennt er die wahre Grösse Gottes erst, wenn er sich selbst so sieht, wie er wirklich ist?

Würde "Größe" dann überhaupt noch eine Rolle spielen, die vom Verständnis her an irdische Macht- und Ansehensfragen gekoppelt wäre?
Falls diese "Selbstüberzeugtheit" auf wackeligem Grunde steht, wird der Krug wohl so lange zum Brunnen getragen werden müssen, bis er bricht. Darin involvierte andere Menschen haben dabei ihr Eigenes zu lösen - deshalb war oben von "zwei" die Rede.

In diesem Begriff ist ja wohl auch eine Komponente von "Verblendung" enthalten? Aber wie beschriebe man das wieder in Abgrenzung zu "echtem tieferen Erkennen"? Sie wäre etwas das "aufbläht"? Jemand wird darin starrer? Er fühlt sich vielleicht mehr "im Licht", vielleicht erhaben über andere, weswegen er diesen weniger entgegenkäme. Wäre so eine "Verblendung", deren Zustandekommen nicht ans ich auch ein möglicher "Zweiter"? Wäre darin noch Agape wirkend erkennbar, die auch das Kleinste sucht, sich diesem ohne Ehrerbietungsforderungen "organisch" widmet?
Aber was hätte jemand davon, alleine der "Grösste" zu sein?

Was hätte jemand davon sich mit stofflichen Drogen zuzuknallen?

Agape
Beiträge: 1779
Registriert: Fr 24. Jul 2020, 19:40

Re: Prelest

Beitragvon Agape » Mi 22. Sep 2021, 14:39

Marsianer hat geschrieben:
Agape hat geschrieben:Wo will der Mensch letztendlich hingehen? Strebt er nach Grösse in der Welt - oder eher nach geistiger Grösse? Ist jemand tatsächlich geistig gross, nur weil er sich in diesem Lichte sieht? Oder erkennt er die wahre Grösse Gottes erst, wenn er sich selbst so sieht, wie er wirklich ist?

Würde "Größe" dann überhaupt noch eine Rolle spielen, die vom Verständnis her an irdische Macht- und Ansehensfragen gekoppelt wäre?

Nein. "Grösse" würde dann wohl durch Agape-Liebe und alle übrigen als "Frucht des Geistes" bezeichneten gottgeistigen Eigenschaften ersetzt werden.

Marsianer hat geschrieben:
Agape hat geschrieben:Falls diese "Selbstüberzeugtheit" auf wackeligem Grunde steht, wird der Krug wohl so lange zum Brunnen getragen werden müssen, bis er bricht. Darin involvierte andere Menschen haben dabei ihr Eigenes zu lösen - deshalb war oben von "zwei" die Rede.

In diesem Begriff ist ja wohl auch eine Komponente von "Verblendung" enthalten? Aber wie beschriebe man das wieder in Abgrenzung zu "echtem tieferen Erkennen"? Sie wäre etwas das "aufbläht"? Jemand wird darin starrer?

Im Begriff "Verblendung" ist "Blenden/geblendet werden" enthalten. Was geschieht, wenn man geblendet ist? Meiner Erfahrung nach sehe ich dann nicht mehr "adäquat". Also sehe ich das, was ist, nicht so, wie es tatsächlich ist, sondern so, wie ich es gerne haben würde. Dies stünde dem Wollen aus Gott entgegen. Es wäre dann ein Wollen aus Selbstbezogenheit heraus, die göttliche Ordnung (Vorsehung) missachtend.

Marsianer hat geschrieben:Er fühlt sich vielleicht mehr "im Licht", vielleicht erhaben über andere, weswegen er diesen weniger entgegenkäme. Wäre so eine "Verblendung", deren Zustandekommen nicht ans ich auch ein möglicher "Zweiter"?

Sobald etwas miteinander verglichen wird, geht es grundsätzlich um "zwei". In diesem Falle würde das eine über das andere siegen wollen (die Eigenliebe würde über die Nächstenliebe gestellt), der Nächste würde einem solchen Menschen als Objekt seiner ihn antreibenden Herrschsucht dienen.

Marsianer hat geschrieben:Wäre darin noch Agape wirkend erkennbar, die auch das Kleinste sucht, sich diesem ohne Ehrerbietungsforderungen "organisch" widmet?

Nein.
"Schreiben ist der direkte Weg zum Herzen"
http://jakobgut.de/erdnuss.htm

Marsianer
Beiträge: 3579
Registriert: Sa 3. Okt 2015, 11:42

Re: Prelest

Beitragvon Marsianer » Sa 25. Sep 2021, 15:42

Agape hat geschrieben:Im Begriff "Verblendung" ist "Blenden/geblendet werden" enthalten. Was geschieht, wenn man geblendet ist? Meiner Erfahrung nach sehe ich dann nicht mehr "adäquat". Also sehe ich das, was ist, nicht so, wie es tatsächlich ist, sondern so, wie ich es gerne haben würde.

Ja, kann sein.
Dies stünde dem Wollen aus Gott entgegen. Es wäre dann ein Wollen aus Selbstbezogenheit heraus, die göttliche Ordnung (Vorsehung) missachtend.

So wie "Prelest" gemeint sein dürfte, wäre das der Fall. Aber was könnte laut dieser Betrachtungsweise als "echtes mystisches Erleben" betrachtet werden?
Sobald etwas miteinander verglichen wird, geht es grundsätzlich um "zwei".

Wenn ich Unterschiede sehe, dann wäre das auch so?
In diesem Falle würde das eine über das andere siegen wollen (die Eigenliebe würde über die Nächstenliebe gestellt), der Nächste würde einem solchen Menschen als Objekt seiner ihn antreibenden Herrschsucht dienen.

Weil jemand Unterschiede empfindet?

Agape
Beiträge: 1779
Registriert: Fr 24. Jul 2020, 19:40

Re: Prelest

Beitragvon Agape » Sa 25. Sep 2021, 20:38

Marsianer hat geschrieben:
Agape hat geschrieben:Dies stünde dem Wollen aus Gott entgegen. Es wäre dann ein Wollen aus Selbstbezogenheit heraus, die göttliche Ordnung (Vorsehung) missachtend.

So wie "Prelest" gemeint sein dürfte, wäre das der Fall. Aber was könnte laut dieser Betrachtungsweise als "echtes mystisches Erleben" betrachtet werden?

Ich denke, dass es weniger relevant ist, wie ein solches Erleben benennt würde, sondern wie ein Individuum daraus hervorgeht, wie es dem gegenübersteht, was es mit ihm macht. Vielleicht wäre etwas, das Prelest entgegenstünde, geistige Nüchternheit?

Marsianer hat geschrieben:
Agape hat geschrieben:Sobald etwas miteinander verglichen wird, geht es grundsätzlich um "zwei".

Wenn ich Unterschiede sehe, dann wäre das auch so?

Weshalb nicht?

Marsianer hat geschrieben:
Agape hat geschrieben:In diesem Falle würde das eine über das andere siegen wollen (die Eigenliebe würde über die Nächstenliebe gestellt), der Nächste würde einem solchen Menschen als Objekt seiner ihn antreibenden Herrschsucht dienen.

Weil jemand Unterschiede empfindet?

Es käme wohl darauf an, ob diese Unterschiede nur subjektiv empfunden würden (aufgrund der Verblendung) - oder ob es tatsächlich (objektiv gesehen) Unterschiede gäbe.
"Schreiben ist der direkte Weg zum Herzen"
http://jakobgut.de/erdnuss.htm

Marsianer
Beiträge: 3579
Registriert: Sa 3. Okt 2015, 11:42

Re: Prelest

Beitragvon Marsianer » So 26. Sep 2021, 03:32

Agape hat geschrieben:Vielleicht wäre etwas, das Prelest entgegenstünde, geistige Nüchternheit?

Wäre die Frage, was dort darunter verstanden würde.
Es käme wohl darauf an, ob diese Unterschiede nur subjektiv empfunden würden (aufgrund der Verblendung) - oder ob es tatsächlich (objektiv gesehen) Unterschiede gäbe.

Schwierig, wer würde z.B. entscheiden, was angeblich wann der Fall sei?

Agape
Beiträge: 1779
Registriert: Fr 24. Jul 2020, 19:40

Re: Prelest

Beitragvon Agape » So 26. Sep 2021, 14:15

Marsianer hat geschrieben:
Agape hat geschrieben:Vielleicht wäre etwas, das Prelest entgegenstünde, geistige Nüchternheit?

Wäre die Frage, was dort darunter verstanden würde.

Beispielsweise ein Zustand der Sachlichkeit, der Beschränkung auf das Zweckmässige und der geistigen Klarheit. Gegenteil von "spirituellem Schwärmertum".

„Demütigt euch alle unter die mächtige Hand Gottes, damit er euch zur Zeit erhöhe. Werfet alle eure Sorgen auf ihn, denn er sorgt für euch.“ (1 Petr 5,6–7)

Marsianer hat geschrieben:
Agape hat geschrieben:Es käme wohl darauf an, ob diese Unterschiede nur subjektiv empfunden würden (aufgrund der Verblendung) - oder ob es tatsächlich (objektiv gesehen) Unterschiede gäbe.

Schwierig, wer würde z.B. entscheiden, was angeblich wann der Fall sei?

Vielleicht käme eines Tages "die Wahrheit" ans Tageslicht?
"Schreiben ist der direkte Weg zum Herzen"
http://jakobgut.de/erdnuss.htm


Zurück zu „Alles und Nichts - Miteinander reden in einer fanatisierten Welt“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: Ahrefs [Bot] und 47 Gäste