Empathie wird heute oftmals als eine Art Kernkompetenz für den weltlichen oder auch spirituellen Erfolg vermarktet. Es scheint mir jedoch einer der Begriffe zu sein, in die besonders viel, auch Gegensätzliches, reininterpretiert wird.
Wikipedia definiert Empathie folgendermassen:
Empathie bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Emotionen, Gedanken, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden. Ein damit korrespondierender allgemeinsprachlicher Begriff ist Einfühlungsvermögen.
Zur Empathie wird gemeinhin auch die Fähigkeit zu angemessenen Reaktionen auf Gefühle anderer Menschen gezählt, zum Beispiel Mitleid, Trauer, Schmerz und Hilfsbereitschaft aus Mitgefühl. Die neuere Hirnforschung legt allerdings eine deutliche Unterscheidbarkeit des empathischen Vermögens vom Mitgefühl nahe.
Quelle
Interessant finde ich, dass die Wiki-Definition von einer sinnlichen (erkennen), rationalen** (verstehen) und emotionalen (nachempfinden) Dimension ausgeht. Demgegenüber scheint mir das ebenfalls erwähnte „Einfühlungsvermögen“ deutlich eindimensionaler nur auf die emotionale Ebene zu zielen.
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**Weil ich vermute, dass meine Begriffswahl zum „Rationalen“ kritisiert wird: Um etwas zu verstehen, muss es für einen selbst eingeordnet werden. Man muss z.B. die Empfindung korrekt erkennen (Lachen aus Freude vs. Angstlachen), man muss die Empfindung des Gegenübers korrekt in die Situation einordnen, usw. Dass die meisten Menschen dies intuitiv tun und nicht bewusst darüber nachdenken, ändert nichts an dieser Einordnung. Ratio und Intuition sind für mich keine Gegensätze, sondern eng miteinander verzahnt.
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Kürzlich las ich in der katholischen Zeitschrift „Forum“ diesen Artikel einer Professorin mit dem vielversprechenden Titel „Deine Gefühle sind nicht meine Gefühle“ Ich vermutete erst, es ginge darum, sich eben nicht die Gefühle seiner Mitmenschen anzueignen und unreflektiert darin „zu baden“, sondern darum, eben mehr bei sich zu bleiben. Also darum, was den meisten Menschen fehlt.
Doch stattdessen wird eine Form von Gefühlsansteckung propagiert:
QuelleDer Begriff «Gefühlsansteckung» geht auf Max Scheler zurück, es ist eine angeborene Fähigkeit, sie geschieht, ohne dass wir sie bewusst steuern, wir können aber – wenn wir sie als belastend wahrnehmen – bewusst gegensteuern.
Also gewissermassen etwas, das einfach so passiert und gegen das Menschen einen ewigen Kampf führen müssen, wenn sie dies als ungut empfinden.
Empathie baut auf dieser Fähigkeit der Gefühlsansteckung auf. Empathie ist keine Emotion, sondern eine Reaktion auf die Emotion eines anderen Menschen. Empathie ist die Fähigkeit, Emotionen und Absichten einer anderen
Person zu erkennen, zu verstehen und darauf zu reagieren. Oder – kurz gesagt: mitzufühlen, was andere fühlen. Empathie heisst auch zu erkennen, dass die Gefühle der anderen Person nicht meine eigenen Gefühle sind, sondern dass ich mit den Gefühlen einer anderen Person mitschwinge. Empathie beinhaltet, dass ich mir bewusst bin, dass die Absichten der anderen Person nicht mit meinen eigenen Absichten übereinstimmen müssen, sondern dass ich die Absichten einer anderen Person wahrnehmen kann.
Quelle
Immerhin wird hier noch gesagt, dass Empathie gewissermassen über diese Gefühlsansteckung hinausgeht und eine Unterscheidung zwischen eigenen und fremden Gefühlen voraussetzt.
Wieder Wikipedia:
Für die neuere Hirnforschung behauptet die Neurowissenschaftlerin Tania Singer eine messbare Differenz zwischen „Empathie“ und „Mitgefühl“. Ihre „Schmerzempathie-Experimente“[27] zeigen, dass das empathische Miterleiden von fremdem Schmerz von einem anderen neuronalen Netzwerk verarbeitet wird, als das aktiv-wohlwollende Mitgefühl: „Empathie ist eher wie eine Resonanzfähigkeit – man teilt ein Gefühl mit einem anderen Menschen, ist aber der Gefahr ausgesetzt, überwältigt zu werden und in empathischen Stress zu geraten. Mitgefühl dagegen hat eine andere Qualität. Es hat etwas von der Fürsorge einer Mutter, die ihr Kind tröstet und ist verbunden mit positiven, beruhigenden und liebevollen Gefühlen.“ Während die spontane Empathie mit dem Leid Anderer zu emotionaler Erschöpfung führen kann, ist unter den gleichen Umständen das aktive Mitgefühl belohnend und trainierbar.
Quelle
Ist also Empathie zumindest in dieser Ausprägung nicht eher etwas, das möglicherweise dem ähnlich ist, was hier im Forum „Anstrahlung“ genannt wird, wohingegen Mitgefühl, zumindest so wie es im obigen Zitat verwendet wird, gewissermassen die reifere Agapeversion davon wäre?
Sind Menschen, die sich für besonders empathisch halten einfach nur besonders labil?
Was ist Empathie eigentlich?