Und als zeitgemäßer Mainstream-Einstieg:
Grundlage für die Forschungsarbeit der Placebo-Fahnder ist die Annahme, dass die Wirkung jeder medizinischen Maßnahme auf zwei Komponenten beruht. Einerseits werden Beschwerden durch die enthaltene chemische Substanz gelindert: So hemmt eine Tablette mit Acetylsalicylsäure die Bildung von schmerzvermittelnden Gewebshormonen.
Als zweite Heilkomponente kommt die Erwartung des Patienten hinzu. Ist seine Einstellung zur Therapie von Vertrauen und Zuversicht geprägt, löst das bei den meisten Menschen einen Placebo-Effekt aus.
Eine Mutter nutzt das instinktiv, wenn sie bei ihrem Kind den Schmerz "wegpustet". Umgekehrt können negative Erwartungen die Wirkung eines Medikaments mindern und Nebenwirkungen verstärken. Experten sprechen dann vom Nocebo-Effekt (nocebo, lateinisch: "Ich werde schaden").
Können wir uns also gesund denken? Für Ulrike Bingel klingt das sehr nach Hokuspokus und Zufall. "Placebo- Effekte beruhen auf einem biologischen Vorgang", betont sie. Und den können Forscher mit bildgebenden Verfahren wie der Magnetresonanztomografie im Gehirn zeigen.
Zum Beispiel geben sie einem Patienten ein Placebo, sagen ihm aber, es handle sich um ein starkes Schmerzmittel. Er erwartet also, dass das Medikament ihm hilft. Allein dadurch passiert etwas in seinem Gehirn: Der präfrontale Cortex hinter der Stirn steigert die Aktivität. Daraufhin werden in einer anderen Hirnregion schmerzlindernde Endorphine ausgeschüttet.
In Gang setzt diesen Prozess der Glaube an die Effekte der Tablette. Der Körper hilft sich quasi selbst gegen die Schmerzen. "Nicht das Placebo wirkt, sondern die daran geknüpfte Erwartung", betont Bingel. Diese positive Einstellung kann die Wirkung von Schmerzmitteln verdoppeln, wie die Neurologin in einer Studie zeigte.
Außerdem belegte die Untersuchung: Wenn jemand glaubt, kein Schmerzmittel erhalten zu haben, kann das die Heilkraft einer Arznei komplett aufheben – das Paradebeispiel eines Nocebo-Effekts.
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Vorerfahrungen sind die dritte treibende Kraft für eine positive Erwartungshaltung. Hat die Schmerztablette in der Vergangenheit immer zuverlässig gewirkt, reichen oft schon ihr Anblick und die Aussicht auf baldige Linderung, um die Pein einzudämmen. Das Gehirn erhält durch die vertraute Form und Farbe des Präparats das Signal "Gleich wird es besser" und reagiert mit der Ausschüttung von schmerzstillenden Botenstoffen.
Diesen Lernvorgang nennen Experten klassische Konditionierung. Für Placebo-Forscher Manfred Schedlowski bietet sie eine einzigartige Möglichkeit, autonome Körpersysteme wie das Immunsystem mittels Placebo zu trainieren – denn auf Instruktionen sprechen sie in der Regel nicht an.
Mit grüner Erdbeer-Lavendel-Milch gelang es dem Experten, die körpereigene Abwehr nierentransplantierter Patienten zu hemmen. Probanden verziehen meist das Gesicht, wenn sie die cremige Flüssigkeit schlucken, die Schedlowski selbst gemixt hat. "Nicht so angenehm, aber völlig neu und einzigartig im Geschmack", kommentiert er trocken. Und darauf kam es in der Studie an. Die Testpersonen sollten nichts mit dem süß-bitteren Aroma des Trunks verbinden.
Das Resultat, so Schedlowski: "Die Milch ohne Wirkstoff kann nach der Konditionierung die Körperabwehr ähnlich gut dämpfen wie der Trunk mit Immunsuppressivum." In der Universitätsklinik Essen will man Transplantationspatienten künftig die hohe Dosierung von Medikamenten ersparen. Das Standardmittel Ciclosporin A ist nicht nur teuer, es schädigt auf Dauer die Nieren.
Die Forscher kennen inzwischen viele körperliche Systeme, die auf Placebos ansprechen: etwa im Hormon-, Bewegungs- und Verdauungssystem. Doch die Erkenntnisse lassen sich nicht ohne Weiteres in die ärztliche und klinische Praxis übertragen. "Ärzte dürfen Placebos außerhalb von Studien nicht verdeckt geben, weil sie damit das Selbstbestimmungsrecht der Patienten und das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient verletzen", skizziert Ulrike Bingel das ethische Dilemma.
Das Problem könnte aber bald gelöst sein. Placebos wirken nämlich auch dann, wenn Patienten wissen, dass sie ein Medikament ohne Wirkstoff erhalten. In "Open-Label-Placebo-Studien" besserten sich Rückenschmerzen, Migräne und Reizdarm deutlich. Voraussetzung: Die Patienten müssen wissen und glauben, dass Placebos grundsätzlich helfen können.
Manchmal staunt Ulrike Bingel selbst, wie gut die offene Placebo-Gabe funktioniert: In einer aktuellen Studie informierte ihr Team Medizinstudenten kurz vor einem Examen, dass sie Scheintabletten gegen Prüfungsangst erhalten würden. Gleichzeitig wurden sie über die Wirksamkeit von Placebos aufgeklärt. Das Ergebnis: Die Studenten schliefen besser, Prüfungsstress und Ängste nahmen ab.
Ließe sich so vielleicht der weitverbreitete Missbrauch von leistungs-steigernden Mitteln verhindern? Möglich, sagt Bingel. Dafür seien nicht einmal Placebo-Pillen nötig. "Bewusstes Entspannungstraining erzielt wahrscheinlich den gleichen Effekt." Die Macht der Erwartung wirkt auch ohne Placebo-Arzneien.
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