Was steckt hinter dem Placebo-Effekt?

Ein maximal zensurfreies Gesprächsangebot im Rahmen oadischer Entwicklungszusammenarbeit: Zufriedenwerden, Yoga, Xenographie, Wissenschaft(skritik), Verstehenlernen, Umweltschutz, Träume, Spiritualität, Religion, Quantenwelt, Permakultur, Oadischsein, Nachrichten, Minimalismus, Liebeleben, Konsumsekte, Jesus, Inspiration, Heimat, Gott, Freidenker, Esoterik, Denken, Christenheit, Buddhismus, Aussteigen ~ (Gastzugang unter Name & Passwort = Anonym)
Marsianer
Beiträge: 3576
Registriert: Sa 3. Okt 2015, 11:42

Was steckt hinter dem Placebo-Effekt?

Beitragvon Marsianer » Mo 14. Feb 2022, 09:25

Bisher gibt es hier noch nichts zu diesem Grundlagenthema, also falls jemand mal irgendwann Lust darauf hat.

Und als zeitgemäßer Mainstream-Einstieg:
Grundlage für die Forschungsarbeit der Placebo-Fahnder ist die Annahme, dass die Wirkung jeder medizinischen Maßnahme auf zwei Komponenten beruht. Einerseits werden Beschwerden durch die enthaltene chemische Sub­­stanz gelindert: So hemmt eine Tablette mit Acetylsalicylsäure die Bildung von schmerzvermittelnden Gewebshormonen.

Als zweite Heilkomponente kommt die Erwartung des Patienten hinzu. Ist seine Einstellung zur Therapie von Vertrauen und Zuversicht geprägt, löst das bei den meisten Menschen einen Placebo-Effekt aus.

Eine Mutter nutzt das instinktiv, wenn sie bei ihrem Kind den Schmerz "wegpustet". Umgekehrt können negative Erwartungen die Wirkung eines Medikaments mindern und Nebenwirkungen verstärken. Experten sprechen dann vom Nocebo-Effekt (nocebo, lateinisch: "Ich werde schaden").

Können wir uns also gesund denken? Für Ulrike Bingel klingt das sehr nach Hokuspokus und Zufall. "Placebo- Effekte beruhen auf einem biologischen Vorgang", betont sie. Und den können Forscher mit bildgebenden Verfahren wie der Magnetresonanz­tomografie im Gehirn zeigen.

Zum Beispiel geben sie einem Patienten ein Placebo, sagen ihm aber, es handle sich um ein starkes Schmerzmittel. Er erwartet also, dass das Medikament ihm hilft. Allein dadurch passiert etwas in seinem Gehirn: Der präfrontale Cortex hinter der Stirn steigert die Aktivität. Daraufhin werden in einer anderen Hirnregion schmerzlindernde Endorphine ausgeschüttet.

In Gang setzt diesen Prozess der Glaube an die Effekte der Tablette. Der Körper hilft sich quasi selbst gegen die Schmerzen. "Nicht das Placebo wirkt, sondern die daran geknüpfte Erwartung", betont Bingel. Diese positive Einstellung kann die Wirkung von Schmerzmitteln verdoppeln, wie die Neurologin in einer Studie zeigte.

Außerdem belegte die Untersuchung: Wenn jemand glaubt, kein Schmerzmittel erhalten zu haben, kann das die Heilkraft einer Arznei komplett aufheben – das Paradebeispiel eines Nocebo-­­Effekts.

[...]

Vorerfahrungen sind die dritte treibende Kraft für eine positive Erwartungshaltung. Hat die Schmerztablette in der Vergangenheit immer zuverlässig gewirkt, reichen oft schon ihr Anblick und die Aussicht auf baldige Linderung, um die Pein einzudämmen. Das Gehirn erhält durch die vertraute Form und Farbe des Präparats das Signal "Gleich wird es besser" und reagiert mit der Ausschüttung von schmerzstillenden Botenstoffen.

Diesen Lernvorgang nennen Experten klassische Konditionierung. Für Placebo-Forscher Manfred Schedlowski bietet sie eine einzig­artige Möglichkeit, autonome Körpersysteme wie das Immunsystem mittels Placebo zu trainieren – denn auf Instruktionen sprechen sie in der Regel nicht an.

Mit grüner Erdbeer-Lavendel-Milch gelang es dem Experten, die körper­­eigene Abwehr nierentransplantierter Patienten zu hemmen. Probanden verziehen meist das Gesicht, wenn sie die cremige Flüssigkeit schlucken, die Schedlowski selbst gemixt hat. "Nicht so angenehm, aber völlig neu und einzigartig im Geschmack", kommentiert er trocken. Und darauf kam es in der Studie an. Die Testpersonen sollten nichts mit dem süß-bitteren Aroma des Trunks verbinden.

Das Resultat, so Schedlowski: "Die Milch ohne Wirkstoff kann nach der Konditionierung die Körperabwehr ähnlich gut dämpfen wie der Trunk mit Immunsuppressivum." In der Universitätsklinik Essen will man Transplantationspatienten künftig die hohe Dosierung von Medikamenten ersparen. Das Standardmittel Ciclo­sporin A ist nicht nur teuer, es schädigt auf Dauer die Nieren.

Die Forscher kennen inzwischen viele körperliche Systeme, die auf Placebos ansprechen: etwa im Hormon-, Bewegungs- und Verdauungssystem. Doch die Erkenntnisse lassen sich nicht ohne Weiteres in die ärztliche und klinische Praxis übertragen. "Ärzte dürfen Placebos außerhalb von Studien nicht verdeckt geben, weil sie damit das Selbstbestimmungsrecht der Patienten und das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient verletzen", skizziert Ulrike Bingel das ethische Dilemma.

Das Problem könnte aber bald gelöst sein. Placebos wirken nämlich auch dann, wenn Patienten wissen, dass sie ein Medikament ohne Wirkstoff erhalten. In "Open-Label-Placebo-Studien" besserten sich Rückenschmerzen, Migräne und Reizdarm deutlich. Voraussetzung: Die Patienten müssen wissen und glauben, dass Placebos grundsätzlich helfen können.

Manchmal staunt Ulrike Bingel selbst, wie gut die offene Placebo-Gabe funktioniert: In einer aktuellen Studie informierte ihr Team Medizinstudenten kurz vor einem Examen, dass sie Scheintabletten gegen Prüfungsangst erhalten würden. Gleichzeitig wurden sie über die Wirksamkeit von Placebos aufgeklärt. Das Ergebnis: Die Studenten schliefen besser, Prüfungsstress und Ängste nahmen ab.

Ließe sich so vielleicht der weit­verbreitete Missbrauch von leistungs-steigernden Mitteln verhindern? Möglich, sagt Bingel. Dafür seien nicht einmal Placebo-Pillen nötig. "Bewusstes Entspannungstraining erzielt wahrscheinlich den gleichen Effekt." Die Macht der Erwartung wirkt auch ohne Placebo-Arzneien.

https://www.apotheken-umschau.de/medika ... 23275.html

Marsianer
Beiträge: 3576
Registriert: Sa 3. Okt 2015, 11:42

Re: Was steckt hinter dem Placebo-Effekt?

Beitragvon Marsianer » Do 30. Jun 2022, 09:45

Das zeigt eine in den USA durchgeführte Studie eines Teams um Lauren Howe von der Universität Zürich. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift »PNAS« veröffentlicht.

Unter dem Vorwand eines Allergietests lösten angehende Ärzte oder Pflegekräfte unterschiedlichen Geschlechts und Hautfarbe bei 187 weißen Versuchspersonen eine allergische Reaktion aus und behandelten diese anschließend augenscheinlich. Die verwendete Creme war jedoch völlig wirkungslos. Trug eine Frau die scheinbar helfende Salbe auf, so entwickelte sich die allergische Reaktion stärker, als wenn ein männlicher Kollege dieselbe Behandlung vornahm. Der Placeboeffekt war also abgeschwächt. Auch die Hautfarbe des medizinischen Personals spielte eine Rolle. Löste ein schwarzer Arzt die Allergie aus, so errötete eine größere Fläche auf der Haut als bei einem asiatisch aussehenden oder weißen Mediziner. Außerdem verschaffte die Placebo-Creme eine geringere Linderung.

https://www.spektrum.de/news/vorurteile ... st/2035021

Marsianer
Beiträge: 3576
Registriert: Sa 3. Okt 2015, 11:42

Re: Was steckt hinter dem Placebo-Effekt?

Beitragvon Marsianer » Sa 2. Jul 2022, 13:01

Hier ebenfalls themenrelevanter foreninterner Link: viewtopic.php?p=4231#p4231


Zurück zu „Alles und Nichts - Miteinander reden in einer fanatisierten Welt“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: Ahrefs [Bot] und 24 Gäste