Die Sufis sprechen z.B. viel über das Erinnern Gottes, die Erinnerung des Herzens, über das Gebet, das Studium des Korans. Und obwohl sie keine Meditationstechniken beschrieben, deutet doch vieles darauf hin, dass sie Meditation praktizierten.
Es gibt eine wunderschöne Geschichte von Bâyezîd Bistâmî, er war einer jener frühen Sufis, der diese unglaublichen Zustände von Einheit mit Gott und tiefe Zustände von Berauschtheit erlangte.
Bâyezîd Bistâmî saß zu Füssen seines Lehrers, als dieser ihn plötzlich bat: "Bâyezîd, hol mir das Buch dort beim Fenster."
"Das Fenster? Welches Fenster?", fragte Bâyezîd.
"Wie denn?", sagte der Meister, "all diese Zeit bist du hierhergekommen und hast das Fenster nicht gesehen?"
"Nein", erwiderte Bâyezîd. "Was habe ich mit dem Fenster zu schaffen? Wenn ich in Eure Gegenwart komme, schließe ich meine Augen vor allem anderem. Ich bin nicht gekommen, um herumzuschauen."
"Da dem so ist", sagte der Lehrer, "kehre zurück nach Bestâm. Deine Arbeit ist vollendet." (1)
Diese Art von Ausschließlichkeit, diese Art von geradeaus gerichtetem Blick, der nie zur Seite schweift, ist eine Eigenschaft der inneren Ausgerichtetheit, die zur Meditation gehört.
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Was mögen die Gründe dafür sein, dass diese Techniken in Indien so gut und detailliert dokumentiert wurden, im Sufismus des Mittleren Ostens hingegen nicht? Wie bereits erwähnt, ich kann weder Arabische noch Persische Quellen lesen, und so mag es in irgendwelchen Bibliotheken in Kairo oder Alexandria Aufzeichnungen geben, die Anleitungen für Sufi Meditationstechniken enthalten. Aber unser Pfad, der Naqshbandi Pfad, dem ich zugehöre, gelangte im 17. Jahrhundert nach Indien und übernahm dort einige indische Meditationstechniken und entwickelte sie weiter.
Doch wenn man zwischen den Zeilen liest, oder man gezielt sucht, dann ist es, auch bei diesen frühen Meistern wie Muhâsibî oder Bâyezîd Bistâmî, ganz offensichtlich, dass im frühen Sufismus Meditation praktiziert wurde. Daran möchte ich nun anknüpfen.
Wie bereits erwähnt, ist es wichtig zu verstehen, dass es eine Technik ist, um den Verstand hinter sich zu lassen, mit seinem fortwährenden Geplapper, das einem von anderen Bewusstseinsebenen, von anderen Realitätsebenen trennt. Dahinter stehen die Überlieferung und das esoterische Wissen, dass der Mensch auf vielen verschiedenen Bewusstseinsebenen funktionieren kann. Aber man braucht Techniken, um sich für diese Bewusstseinsebenen zu öffnen.
Im Sufismus ist, anders als im Buddhismus, das zentrale Thema die Beziehung des Liebenden zum Geliebten. Dies ist der Kern, die Essenz des Sufismus; es ist eine Liebesbeziehung mit Gott. Ob du den Geliebten nun Er, Sie, Es nennst, spielt keine Rolle -- es ist eine Liebesgeschichte. Ich benutze oft die Bezeichnung "Er", weil es mir schwierig erscheint, mit einem "Es" eine Liebesbeziehung zu haben.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit kurz hinzufügen, dass mich verschiedentlich Leute gefragt haben: "Aber warum benutzt du die Bezeichnung "Er", um den Geliebten zu benennen?". Der Grund dafür ist ganz persönlicher Natur, denn ich war bei meinen ersten direkten Erfahrungen von dem, was ich nur den Geliebten nennen kann, in einem Zustand weiblicher Empfängnis. Man sagt: "Die Seele ist immer weiblich vor Gott." Und der Geliebte kam zu mir als männliche Energie, die mich durchbohrte, wie bei dieser schönen Bernini Skulptur von Theresa von Avila, wo der Pfeil ihr Herz durchbohrt. So habe ich es erfahren.
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Der Mystiker weiß, dass dieses Treffen das Kostbarste ist, was es gibt: die direkte Erfahrung Gottes. Darin besteht grundsätzlich der Unterschied zwischen Mystikern und religiösen Personen, zwischen Esoterik und Exoterik. Wie Jâmî sagt: "Warum Berichten aus zweiter Hand lauschen, wenn du den Geliebten selbst sprechen hören kannst?"
Bei der Mystik geht es um direkte Erfahrung, und einem jeden von uns steht diese direkte Erfahrung Gottes zu. Dafür braucht es aber einen Ort, wo diese stattfinden kann. Für den Sufi geschieht dies im Herzen, im Bewusstsein des Herzens.
Wenn man dieser Beziehung nicht im Weg stehen will, müssen als erstes all diese Alltagsgedanken, all dieser Müll, all dieses unaufhörliche Geschwätz und Geplapper, alles, was uns ablenkt, all diese Bilder beiseite geräumt werden. So schafft auf gewisse Weise die Meditation zu Beginn einen Raum, wo man bewusst auf Gott hören und mit Ihm sein kann.
Wir sind alle jederzeit mit Gott, dies ist eine der mystischen Wahrheiten: Es gibt nichts außer Gott. Aber der Pfad der Gnosis, der Pfad der direkten Erfahrung, besteht darin, sich dieser Beziehung bewusst zu werden, so dass sich eine Liebesbeziehung entwickelt, die immer tiefer und tiefer wird. Und das erfordert Kommunikation. Man muss mit Gott sprechen und Ihm auch zuhören und einen Raum schaffen, wo man Gott zuhören und dieser außergewöhnliche Dialog zwischen der Seele und Gott stattfinden kann.
Er spricht nicht oft mit lauter Stimme. Er poltert nicht immer an der Tür. Oft spricht er sehr leise. Er flüstert dir die Geheimnisse deiner Seele zu. Und die Geheimnisse der Liebe. Es ist wunderschön, wenn dir in deinem Herzen all diese Geheimisse erzählt werden und du sie vernimmst. Aber man muss zuhören lernen, und das bedeutet, dass der Verstand still werden muss und man all diese Alltagsgedanken weglegt. Dies ist einer der ersten Schritte in der Meditation. Man schafft einen Raum im Herzen und im Verstand, wo man mit Gott sein kann, wo man lernen kann, Gott zuzuhören. Das ist möglich.
Unsere westliche Kultur misst dem Verstand große Bedeutung zu. Wir leben in einer mentalen Kultur. Man erzieht uns dazu, den Verstand zu entwickeln. Der Verstand ist, was wir wertschätzen. Wenn wir wirklich mit dem mystischen Leben beginnen, dann sehen wir allmählich eine andere Wahrheit. Wir beginnen zu sehen, dass es eine andere Form von Bewusstsein gibt, die nichts mit Denken gemein hat. Das bedeutet nicht, dass man nichts versteht, denn es gibt das Verstehen des Herzens. Dies ist etwas, was im Sufismus entwickelt wird, dieses Verstehen des Herzens. Aber das braucht Empfängnisbereitschaft, das bedingt Zuhören. Dies sind natürlich weibliche Eigenschaften.
Welches Fenster? Er wird gefragt und schaut nicht wo im Raum ein Fenster ist? Denn das könnte ein Mensch wohl leicht tun, auch wenn er vorher nicht auf soetwas geachtet haben würde? Er will sich mit soetwas nicht befassen? Er will auch gar keine Bücher für diesen "Lehrer" herbeiholen?
Was ist Meditation? Im Zitat eins weiter oben wird die Art der Wahrnehmung der Fliege thematisiert. Hier ginge es mehr darum nur manches wahrzunehmen? Wer es als spirituelle Reife deutet eine Art von "Fähigkeit zu Konzentation" in sich herauszubilden, der wird sie nutzen wollen, um zu manchem hin- von anderem wegzulenken? Der offene Sinn von jemand anderem würde hingegen alles wahrnehmen, er wäre sozusagen auch "der Fügung" gegenüber offener, während "Konzentration" (eine Art Filter unter der Kontrolle eines wohl menschlichen Wollens, Wegentscheidungen aus unvollkommenem Erkennen, von außen aufgenommenen befolgten Lehren) eine Falle sein kann, in der man sich von dem Erkennen des eigenen Zustands abzuhalten vermag.