Erbsünde und ihre Auswirkungen

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Marsianer
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Erbsünde und ihre Auswirkungen

Beitragvon Marsianer » Do 9. Jun 2022, 13:18

Ein weiteres jahrhundertealtes Streitthema unter "gelehrten Christen". Ich beginne hier mal mit dem Zitat einer Meinung dazu:
Aus der geschichtlichen Erfahrung kann man wohl festhalten: Vor dem lehrmäßigen, inhaltlichen Glaubensabfall kommt allermeist schon der praktische Glaubensabfall – zumindest gehen beide immer Hand in Hand.

Der moderne Mensch hat die Welt uminterpretiert. Er hat sich eine neue Philosophie erdacht, eine Philosophie entgegen der Wirklichkeit. Eine wesentliche Kehrtwendung war die Behauptung, der Mensch sei von Natur aus gut. Zunächst war diese Ansicht wohl eine Reaktion auf den Protestantismus, der behauptete: Der Mensch sei von Natur aus ganz und gar verdorben und darum zu keinem guten Werk fähig. Der Mensch ist durch und durch Sünder. Nein, so die neuen „Philosophen“, der Mensch ist nicht ganz und gar verdorben, er ist ganz gut, wenn er nur seiner Natur entsprechend lebt. „Alles, was aus den Händen des Schöpfers kommt, ist gut; alles entartet unter den Händen des Menschen.“

Es war Jean-Jacques Rousseau (1712 bis 1778), der diese Lehre verbreitete. Nach ihm ist das Individuum, also der einzelne Mensch nur außerhalb der Gesellschaft überhaupt in der Lage, gut und vollkommen zu sein. „Zurück zur Natur“, so lautet das verkürzte Motto der Rousseau’schen Anthropologie. In diesem Naturzustand ist nach Rousseau der Hauptantrieb des Menschen allein die natürliche Selbstliebe, die allerdings bedroht wird. Es ist die Gesellschaft, so Rousseau weiter, die den Menschen schlecht macht, denn dort vergleicht der Mensch sich mit anderen und verliert damit seine Unschuld. Seine natürliche Selbstliebe (die Sorge für das eigene Wohl mit geringstmöglichem Schaden für die anderen) verwandelt sich in Selbstsucht, in Konkurrenzdenken, Suche nach Macht, Eigentum, Herrschaft. Sein Handeln ändert sich in selbst- und gesellschaftsschädigendes Handeln.

Rousseau schreibt selbst einmal: „Man bewundere die menschliche Gesellschaft soviel man will; es wird deshalb nicht weniger wahr sein, daß sie die Menschen notwendigerweise dazu bringt, sich in dem Maße zu hassen wie ihre Interessen sich kreuzen, außerdem sich wechselseitig scheinbare Dienste zu erweisen, doch in Wirklichkeit sich alle vorstellbaren Übel zuzufügen.“

Rousseau spricht von einer angeborenen Liebe zum Guten. Diese angeborene Liebe zum Guten kann als „Gewissen“ verstanden werden, wird aber auch bei Rousseau zuweilen als „vorbewußter Instinkt“ bezeichnet.

Es war notwendig, diesen kurzen Ausflug in die Geistesgeschichte zu machen, weil sich vom Gedankengut Rousseaus sehr viel im modernen Menschen findet. Denken wir etwa an die antiautoritäre Erziehung, die doch dem Kind zutraut, von sich aus, ohne entsprechende Vorgabe und Aufgaben das Leben meistern zu können. Es wird so getan, als wären die Kinder immer gescheiter als die Eltern, als wüßten sie immer besser als diese, was gut für sie ist.

Naturalismus und Protestantismus

Im Hintergrund – sowohl des Protestantismus als auch des Naturalismus eines Rousseau – steht eine Irrlehre. Der Protestant leugnet zwar nicht die Erbsünde, aber er irrt sich bezüglich ihrer Folgen. Die Erbsünde zerstört nicht die menschliche Natur, wie die Protestanten sagen, sie macht sie nicht gänzlich schlecht, sondern sie verwundet sie „nur“. Rousseau hingegen leugnet letztlich die Erbsünde ganz und gar. „Der Mensch ist von Natur aus gut“ heißt doch so viel wie: Es gibt keine Erbsünde! Das Böse kommt sodann allein von der Gesellschaft. Würde der Mensch zurück zur Natur gehen, würde alles wieder gut, das Paradies würde zurückkehren.

Für einen Katholiken sind beide Irrtümer letztlich Utopien – was sich auch an der Wirklichkeit zwingend erweist, bzw. schon lange erwiesen hat. Man ist doch immer wieder überrascht, daß solche offensichtlich irrigen Lehren von so vielen Menschen geglaubt und ernst genommen werden. Welchen Einfluß gewann die Irrlehre Luthers! Und Rousseau gilt den Modernen als einer der größten Denker des 18. Jahrhunderts, also des Zeitalters der sog. Aufklärung! Ganz nüchtern betrachtet: Was für einen Unsinn hatte dieser Mann geschrieben. Jedem Christ müßte dies doch spontan auffallen, oder etwa nicht? Die damaligen Bewunderer Rousseaus schimpften sich tatsächlich fast alle noch Christen. So eine Verirrung des Geistes ist nur dadurch zu erklären, daß schon damals der christliche Glaube schon äußerst angekränkelt war.

Laster bzw. Leidenschaft

Was aber sagt uns die Wirklichkeit? Was kann letztlich jeder, der mit offenen Augen durchs Leben geht, sehen und erkennen? Gerade das, was unser katholischer Glaube sagt! Der Mensch ist zwar nicht ganz verdorben, aber mehrheitlich sehr zum Bösen geneigt. Natürlich gibt es da erhebliche Unterschiede in der Veranlagung und im Charakter, aber grundsätzlich gilt: Seit der Erbsünde ist die menschliche Natur verwundet. Das Streben des Menschen geht nicht mehr von sich aus und leicht zum Guten, sondern es fordert Selbstüberwindung und beharrliche Anstrengung.

https://antimodernist.org/am/2021/08/15/wahre-askese

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Re: Erbsünde und ihre Auswirkungen

Beitragvon Marsianer » Do 9. Jun 2022, 14:30

Agape hat geschrieben:Ist es denn nicht so, dass man in der Stille in erster Linie dem begegnet, was in einem selbst bereits vorhanden ist?

viewtopic.php?p=3966#p3966

Ja, und ich würde auch sagen, daran mangelt es den meisten heutigen Menschen dieser Region sehr stark.
Kann ein Gedanke an Gott dabei etwas bewirken, wenn IHM ansonsten wenig Gedanken gewidmet werden, weil anderes doch so viel mehr Bedeutung hat?

Ja, aber ich würde sagen, beim in die Stille gehen, geht es ersteinmal gar nicht um soetwas, es geht um ein Erkennen des eigenen Zustandes. Daraus dann um eine vitale Möglichkeit für das eigene Innere zu bereuen/bei sich selbst anderes zu wünschen/sich "auf Besseres zu besinnen". Innerste, wahrhaftige "Reue" kommt ja nun wirklich nicht gerade aus gesetzlichem Drill, Konditionierung und dergleichen, würde ich sagen.
Können Dämonen, die einem Wesen ansonsten sehr fern sind, plötzlich "aus dem Nicht" heraus in der Stille auftauchen?

Da wäre schon die Frage, wieso sie denn in der Stille neu hinzukommen sollten. Welche Vorstellungen es bei solchen "christlichen Gelehrten" dazu wohl gibt? Ich vermute, es dürften sehr viele verschiedene sein. Nur, welche davon kommen überhaupt aus eigenen Erleben heraus? Und welche sind irgendetwas eher theoretisch zusammengereimtes von irgendwem?
Hätte ein solches Auftauchen nicht eventuell schon eine "Vorgeschichte", die mit "Lärm" nur zugedeckt gewesen wäre und durch die Stille wieder ins Bewusstsein käme?

Wie erwähnt halte ich hier ja eine gewisse konzeptionelle Verwechslung mit Nahrungs-Fasten für möglich. Aber auch dabei liefe es meiner Meinung auf das hinaus, nach dem du da mit Recht fragtest.

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Re: Erbsünde und ihre Auswirkungen

Beitragvon Marsianer » Do 9. Jun 2022, 15:35

Wie entwirrt man das nun? Ich kann ja mal gemäß meinem Verständnis soetwas versuchen.
Luther hat geschrieben:Wenn er nämlich im Vertrauen auf sich selbst bleibt – und das tut er so lange wie er sich einbildet, er vermöge auch noch so wenig für seine Seligkeit zu tun – und nicht von Grund auf an sich verzweifelt, so demütigt er sich deswegen nicht vor Gott, sondern vermutet oder hofft oder wünscht wenigstens Gelegenheit, Zeit oder irgendein gutes Werk, dadurch er dennoch zur Seligkeit gelange. Wer aber wirklich nicht daran zweifelt, daß alles vom Willen Gottes abhänge, der verzweifelt völlig an sich selbst, wählt nichts eigenes, sondern erwartet den alles wirkenden Gott. Der ist am nächsten der Gnade und der Seligkeit.

https://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4d ... e_Position

Wie ist diese Überlegung wohl gemeint? Ich bin kein Experte für solche "menschlich-christliche Gelehrsamkeit".

Ja, "gute Werke" und deren Einordnung sind auch soein Punkt in diesem ganzen menschlichen Gelehrsamkeitschlamassel. (Und witzigerweise schreiben solche "Gelehrten" ihren Lehren ja oft sinngemäß solchen Einfluß zu, wie er hier zugleich bei "guten Werken" meiner Meinung nach zu Recht kritisch beäugt wird.) "Gute Werke" nach menschlicher Betrachtung sind oft ja auch solche Taten, die eher auf "Gesetzesfolge" oder eben "Konditionierung" beruhen. Aber wovon sind sie angetrieben? Ich würde sagen, im NT ist das bereits klar Thema. Daraus schreib eich ja immer wieder, daß es nach meinem Verständnis um "Frucht" geht und die ist ja eben kein wirklich menschliches Tun im Sinne von "so soll man es tun", sondern etwas, das der Mensch in seinem Innersten selbst mag. Und das ist so, weil er entsprechenden Geist/Vater ergriffen hat.

Wenn jemand das nicht so recht versteht, dann mag das was im NT beschrieben wird wohl gerne so "gelehrsam auseinanderbröseln" wie es bei diesem Thema nach jetzigen Stand der "menschlichen Klugkeit" wohl sieht. Da klammert sich dann, so gesehen nach meinem Verständnis, z.B. an den an sich richtigen Aspekt "der Mensch kann nichts für seine Seligkeit tun", schafft es aber nicht den auch ansonsten in einem sinnvollen Kontext zu verstehen. Es wirkt jedenfalls auf mich irgendwie so. Dann kommt dann noch der "Katholik" und betont, ebenfalls korrekt, daß der Mensch Werke tut und tun kann. Und dann bekommen sich sektiererisch veranlagte "Weise" über solche Dinge in die Haare aus ihrem Fleisch, obwohl es sich (soweit ich sehe) eigentlich um Aspekte eines Sachverhalts handelt.

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Re: Erbsünde und ihre Auswirkungen

Beitragvon Marsianer » Sa 11. Jun 2022, 09:58

Philipp Melanchthon stimmte zunächst mit Luther überein und gebrauchte entsprechende Formulierungen (Wiedergeburt) in der Apologie des Augsburger Bekenntnisses. Aber später kam es, auch durch die Auseinandersetzung mit Andreas Osiander, zu einer folgenreichen Verschiebung: Melanchthon verstand Rechtfertigung als Nichtzurechnung der Sünde, Heiligung als ein darauf folgendes Geschehen. In der Konkordienformel wurde die Rechtfertigung dann zu einem äußerlichen, forensisch-imputativen Geschehen verkürzt, einem „als ob“: der Mensch gelte vor Gott als gerecht, bleibe aber innerlich unverändert. Wilfried Joest analysiert: Wenn Rechtfertigung als ein Amnestieakt verstanden wird, wird Heiligung „etwas, das nachfolgen muß, und dieses ‚muß‘ kann zum Problem werden.“ Das Geschenk der Rechtfertigung und diese diffuse Verpflichtung ließen sich schwer zusammendenken, ohne ins Fahrwasser eines Moralismus zu geraten.

viewtopic.php?p=3978#p3978

Generell geht man ja in dieser Lehrabspaltungsgruppierung (sie schufen abgetrennt Pseudogemeinden um ihre Lehre herum) offenbar davon aus, daß der Mensch aufgrund der Erbsünde von sich aus gar keine Verbindnung mehr zu Gott haben kann. Ich behaupte nicht, diese Lehre ganz zu verstehen und neige wohl doch recht der Version "verwundete Natur" zu aus dem, was sich mir selbst darstellt. Ich würde sagen, beim "Sündenfall Adams" entschied dieser eben sozusagen dazu die reine Anstrahlung durch Gott zu verlassen und sich auch der des Teufels zu öffnen, so daß ab dem Punkt dann auch von dort auf ihn und seine Familie und Nachkommen seelisch-geistig eingewirkt werden konnte.

Demzufolge geht man in dieser Abspaltung soweit ich es verstehe davon aus, daß die "Verkündung des Evangeliums" erst den Menschen wieder Gott erreichbar macht. Auch allgemeiner spielt wohl das Konzept "Sakrament" inzwischen eine verbreitetere Rolle unter Christen. In der Abspaltung oben meint man aber wohl, es sei sinnvoll sich gewissen Verrichtungen, Predigten und so weiter auszusetzen, weil darin dann dem Menschen ein Einfluß Gottes näher komme und so quasi "magisch" von selbst soetwas wie "Heiligungsfortschritt" geschehe? Wohingegen die Vatikanrichtung auch die Bedeutung eigener Entscheidungen betont, darin aber zumindest von vielen eher gesetzlichkeitsentsprechend verstanden wird.

Andererseits irgendwie unbestritten dürfte bei all diesen Menschen, die sich als Christen verstehen, wohl dennoch sein, daß "Gebet" (ein Begriff zu dem auch wieder verbreitet wohl recht fragwürdige Vorstellungen kursieren), eigene Hinwendung zu Gott auch eine feste Größe sei.
Augustinus, der eine breite Palette an Sakramenten aufführte, so die „Sakramente Israels“ (etwa die Beschneidung, die Opfer, das Paschafest, die Salbung der Priester und der Könige), sah in der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus das größte Sakrament. Er baute als erster fundamental eine systematische, philosophisch und theologisch durchdachte Sakramentenlehre auf, indem er die Unterscheidung zwischen einer „Sache“ und einem „Zeichen“ traf. Sachen waren für Augustinus die Dinge, die nicht etwas bezeichnen, sondern die für sich selbst stehen, wie Haus, Tier oder Ähnliches. Zeichen verweisen dagegen nach Augustinus immer auf etwas anderes. Er unterschied die „natürlichen Zeichen“ von den „gegebenen Zeichen“. Mit den natürlichen Zeichen sei in absichtsloser Weise eine Sache erkennbar, etwa wenn der Rauch auf ein Feuer hinweist. Die gegebenen Zeichen hingegen, etwa eine gerichtete Handbewegung, die Handauflegung oder ein Grußzeichen, würden absichtlich gesetzt, um etwas zur Kenntnis zu bringen. Hierzu gehörte vor allem auch das Wort als Zeichen. Sakramente sind nach Augustinus gegebene Zeichen, die „zu den göttlichen Dingen gehören“, weil sie auf eine heilige Wirklichkeit hinweisen (De civitate Dei X 5: „Sacramentum, id est sacrum signum“ = Sakrament, das ist ein heiliges Zeichen).

Die augustinische Gnadenlehre basiert auf der Vorstellung, dass es jedem Menschen freistehe, dem Willen Gottes zu gehorchen oder zu sündigen. Ohne die Gnade Gottes könne der Mensch nicht wirksam das Gute tun. Jedem Menschen aber stehe es frei, sich bewusst gegen die Gnade zu stellen und sündig zu handeln.

Die Zeichen für die göttliche Gnade bestehen aus einer materiellen Handlung und aus Worten, die diese verdeutlichen. Durch die sichtbaren Dinge werden die Glaubenden zu den unsichtbaren Wirklichkeiten geführt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Sakrament

Diese Konzepte sagen mir eigentlich nichts, das mir damit im Zusammenhang stehende wirkt auf mich weitgehend fremd. Aber in diesem Zitat kann ich immerhin den theoretischen Gedanken nachvollziehen "wo Rauch ist, da ist wohl auch Feuer". Das könnte man in die Richtung von "an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen" verstehen, nur etwas anders. Schön und gut, die oft recht schwergewichtige Betonung dieses Ansatzes ist irritierend für mich. Vielleicht richtet sie sich an die Menschen, die sich bisher nicht willentlich selbst Gott zu wenden, aber "in den Gottesdienst kommen"? Es würde in dem Fall vielleicht theoretisch eher als eine Art Notlösung Sinn machen, nur dann sollte es nicht so allgemein und hervorgehoben dargestellt werden. Oder kommt es nur mir so vor, als würde es so praktiziert? Manche stellen es so dar, also würden sich diese verschiedenen Möglichkeiten sich Gott zu nahen ergänzen, so als ob jede Art etwas zum "Gesamtkontakt" beitragen würde, so als würde vielleicht ohne einen der Wege eine Art Puzzleteil fehlen. Es stellt sich mir (bisher) nicht so dar.

Das oben im Zitat auch angeklungene theoretische Spannungsfeld zwischen "Erlösung" (Auslösung) und "zunehmende Heiligung" und die von Menschen darauf gegebenen Antworten sagen dann wohl auch noch so einiges über das jeweilige Verständnis zu dem aus, was unter "Erbsünde" angenommen wird.

"Davon hätten wir wohl viel zu reden, aber es ist schwer auszulegen, weil ihr wieder so träge zum Verständnis geworden seid. Denn da ihr längst solltet Meister sein der Zeit nach, bedürft ihr selber wieder Belehrung über die Anfangsgründe der Lehre Gottes, und seid solche geworden, daß ihr Milch und nicht feste Speise bedürfet." Heb 5,11+12

Ich würde eher dem oben zitierten Melanchton* entsprechend sagen "Heiligung" ist maßgeblich ein Prozeß, der sich auf die Auslösung folgend entfaltet oder je nach Entscheiden des Menschen eben nicht so. "Neugeburt" aus Geist so zu verstehen, als würde da ein Baby zur Welt kommen, das man dann eben mit Predigten füttere, worauf es eben mit der Zeit wachse und wachse, stimmt so nicht. Anders als bei dem, was man in der Regel beim körperlichen Wachstum beobachtet, kennt das Wachstum dieses neugeborenen Menschen nicht eigentlich nur eine Richtung und dieses Wachstum verläuft nicht im Grunde bei allen neugeborenen Menschen gleich und brauche eben so seine längere Zeit.

"Auslösung" verstehe ich als Zahlung eines Lösegeldes (an den Teufel). Der Erdenmensch kann dies von Seiten Jesu Christi in Anspruch nehmen. Das sollte ihn dann seelisch in einen Zustand anderer voraussetzungen versetzen. Und nun kann dieser einzelne Mensch entscheiden, was er damit anfängt, inwieweit er diese Freiheit auch beansprucht oder er doch wieder mehr in geistig finstere Gefilde ziehen mag. Ein fernes Licht zu sehen, auf es zuzugehen ist eben nicht gleichbedeutend damit inmitten vollem Licht zu stehen oder überhaupt den Weg zuendezugehen, statt irgendwann doch wieder anderes reizvoller zu finden. Der Vorgang der Auslösung ist meiner Meinung nach nicht gleicbedeutend diese Auslösung dann auch wirklich umfassend in Anspruch zu nehmen.

* "Im Winter 1535/36 war er in Jena auch selbst in einem Prozess gegen eine Gruppe Täufer engagiert, unter denen sich auch der Thüringer Täuferführer Hans Peißker befand. Peißker und zwei weitere wurden schließlich gefoltert und am 26. Januar 1536 enthauptet." https://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_Melanchthon

"Als Gottes Geschöpfe seien Kinder „gut“. Gott sei kein Gott, „der ein Kindlein um ein paar Tropfen Wasser willen verdamme“. Die sogenannte Erbsünde hätte im Blick auf die Kinder keine Bedeutung, da sie diese Erbschaft ja noch nicht annehmen könnten. Erst später, wenn sie als Heranwachsende durch eigene Sünde in diese Erbschaft einwilligten, hätte die Erbsünde „Kraft“.
In den folgenden Tagen und Wochen fanden weitere zum Teil peinliche Befragungen statt. Besonders kühn reagierten die Gefangenen auf Melanchthons Fragen. Sie duzten ihn und nannten ihn einen „Henker“. Als man ihnen daraufhin antwortete, dass letztendlich die Obrigkeit das Urteil fälle, sprachen sie zu Melanchthon: „Ei ja, du willst die Hände waschen wie Pilatus“. Während der Verhöre wandte man Folterungen vor allem dort an, wo es um die Herausgabe der Namen anderer Führer und Mitglieder der Täuferbewegung ging. Peißker, Craut und Muller blieben jedoch standhaft; den einzigen Namen, den sie preisgaben, war der ihres theologischen Lehrers: „Ihr Prophet [sei] Doktor Karlstadt, der jetzt ihren Glauben zu Basel predige.“ Am 25. Januar 1536 wurde mit der Zustimmung Philipp Melanchthons und der Juristischen Fakultät der Universität Jena das Todesurteil gefällt und die sofortige Vollstreckung angeordnet." https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Pei%C3%9Fker

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Re: Erbsünde und ihre Auswirkungen

Beitragvon Marsianer » Do 23. Jun 2022, 10:47

Robert Kardinal Sarah, Gott oder nichts, S. 158+159 hat geschrieben:Es gibt da eine Tendenz bei der Missionierung, die den Akzent auf das politische Engagement oder den politischen Kampf bzw. auf die sozioökonomische Entwicklung legt; dieser Ansatz verdünnt die Aussagen des Evangeliums und die Verkündigung Christi. Die zahlenmäßige Abnahme der Priester, die Defizite ihrer missionarischen Tätigkeiten und ein besorgniserregender Mangel an innerem Leben - wenn es ihnen an einem eigenen Gebetsleben fehlt und sie die Sakramente nicht häufig genug empfangen -, können dazu führen, dass die Seminaristen und die Priester sich nicht genügend bemühen, auf ihr inneres Leben zu achten, es auf das Wort Gottes zu gründen, auf das Vorbild der Heiligen, auf ein Leben des Gebets und der Betrachtung - tief verwurzelt allein in Gott. Es besteht eine Art Verkümmerung oder Abstumpfung, die selbst bei den Dienern des Herrn aus dem Inneren kommt. Benedikt XVI. und Franziskus haben sehr oft den Karrierismus beim Klerus angeprangert. Vor Kurzem äußerte Papst Franziskus, als er sich an verschiedene Hochschulgemeinden richtete, deutliche Worte: "Euer intellektueller Einsatz in Lehre und Forschung, in Studium und umfassender Bildung und Formung würde umso fruchtbarer und effektiver sein, je mehr er von der Liebe zu Christus und zur Kirche beseelt ist, je solider und harmonischer die Beziehung zwischen Studium und Gebet ist. Das ist nicht etwas Altes, das ist zentral! Eine der Herausforderungen unserer Zeit ist: Wissen weiterzugeben und einen vitalen Verständnisschlüssel dazu anzubieten, nicht eine Anhäufung von unverbundenen Kenntnissen."
[...]
Tatsächlich soll ein echtes Seminar eine Schule sein, die zum "Bach Kerit" (1 Kön 17, 1-6) führt, an die Quelle des Wortes Gottes, an einen Ort, an dem man lernt, wie ein wahres inneres Leben aufzubauen ist. Der Mann, der sich durch diese Schule umgestaltet, um Priester zu werden, bereitet sich darauf vor, gut zu beten, um besser mit Gott zu sprechen, der Mann kann erst die Worte über Gott finden, nachdem man Ihm begegnet ist und eine persönliche Beziehung zu Ihm geknüpft hat ... Das Gebet steht stets an erster Stelle. Ohne die Vitalität des Gebets laufen der Motor des Priesters und der Kirche folglich im Leergang.

"Sakramente" als Weg dort wohl von dieser Theorie aus gefolgert Gott nahe sein zu können, "Gebet", das wirkt auf mich irgendwie recht traurig. Aber diese Menschen zieht es wohl meist nicht so stark rein aus ihrem eigenen Herzen?

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Re: Erbsünde und ihre Auswirkungen

Beitragvon Marsianer » Do 23. Jun 2022, 18:14

Sarah, S. 172 hat geschrieben:Das Gebet ist eigentlich keine außergewöhnliche Handlung, sondern es ist das Schweigen eines Kindes, das seinen Blick ganz auf Gott hin richtet. Das Gebet - das bedeutet, Gott in uns ein wenig frei werden zu lassen. Es gilt, ihn in der Stille, in der Hingabe und im Vertrauen unerschütterlich und ausdauernd zu erwarten, sogar dann, wenn er in unserer inneren Nacht im Dunkel bleibt.
Das Gebet fordert, wie jede Freundschaft, Zeit, um sich zu verfestigen.

S. 174 hat geschrieben:Denn im Gebet ist es im Wesentlichen Gott, der spricht und der uns aufmerksam zuhört, während wir uns auf die Suche nach seinem Willen begeben. Beten - das bedeutet, Gott zu suchen und ihn sein Antlitz und seinen Willen uns offenbaren zu lassen. [...] Wir versteifen uns darauf, immer viel zu tun, viel zu sprechen und viel zu denken. Wir füllen die Bleibe Gottes mit zu viel Lärm ...

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Re: Erbsünde und ihre Auswirkungen

Beitragvon Marsianer » So 26. Jun 2022, 09:28

S. 175 hat geschrieben:Die Liturgie ist ein Augenblick, in dem Gott aus Liebe mit den Menschen tief vereint sein möchte. Wenn wir diese heiligen Momente wirklich leben, können wir Gott begegnen. Man sollte jedoch nicht in die Falle tappen, die die Liturgie einfach auf einen Ort der brüderlichen Geselligkeit reduzieren möchte. Im Leben gibt es wohl noch andere Plätze, an denen man gemeinsam in froher Stimmung sein kann. Die Messe ist kein Ort, an dem die Menschen sich in einer banalen Feierlaune treffen. Die Liturgie ist eine große Pforte, die sich zu Gott hin öffnet und die uns erlaubt, auf symbolische Weise die Mauern dieser Welt zu verlassen.

S. 176 hat geschrieben:Der göttliche Kult ist eine Begegnung mit den übernatürlichen Realitäten, durch die der Mensch verwandelt werden und sich nicht zu erfolglosem und fruchtlosem Suchen erniedrigen muss. [...] Im Grunde genommen sucht Gott jenseits des Ritus zunächst das Herz der Menschen. In der Liturgie schenkt uns Jesus seinen Leib und sein Blut, um uns ihm anzugleichen und zu bewirken, dass wir eins werden.

"Die Mauern dieser Welt verlassen"?

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Re: Erbsünde und ihre Auswirkungen

Beitragvon Marsianer » So 26. Jun 2022, 15:16

S. 177 hat geschrieben:Wenn ein Mensch die alten Riten der Kirche achtet und nicht in der Liebe ist, dann ist dieser Mensch verloren. Ich glaube, dass so die Situation aussieht, in der sich die extremistischen Anhänger der verschiedenen liturgischen Schulen befinden. Der enge, quasi fundamentalistische Ritualismus oder die Dekonstruktion des Ritus nach modernistischer Art können sehr leicht von einer wahren Suche nach der Liebe Gottes abtrennen. Diese Liebe keimt und wächst in der Ehrfurcht vor den Formen; doch Verkrampfungen führen früher oder später ins Nichts.

[...]

Wenn ich in Afrika an Messen teilnehme, die sechs Stunden dauern, erlebe ich nur ein Fest, das persönliche Bedürfnisse befriedigt. Ich zweifle stark daran, dass eine echte Begegnung mit Gott in solchen Momenten ständiger Anspannung und bei Tänzen, die eine Begegnung mit dem Mysterium wenig begünstigt, stattfindet. Gott verabscheut Ritualismen, bei denen der Mensch sich selbst feiert.

Also was bedingt diese laut dieser Herangehensweise möglichen Begegnung mit Gott in Liturgien? Stille offenbar, eine Stille, die diese Christen nicht auch alleine in ihrem Leben "hinbekommen"? Oder eben nur manche Christen, denen soetwas dann helfen mag? Um konkrete rituelle Formen geht es laut Sarah offenbar ja nicht, aber der Mensch sollte nicht um seinesgleichen kreisen. Dann bewirken diese rituellen Formen im Grunde auch für sich genommen nichts oder sind eine Variation von vielen möglichen, vielleicht eine Art Platzhalter, auf dessen konkrete Gestalt auch nicht so sehr die Aufmerksamkeit fallen soll? So recht einen Reim aus diesen Ansätzen vermag ich mir da noch nicht zu machen. Vor allem, da manche Anhänger solcher Lehren offenbar ja meinen, diese Art Gott zu begegnen sei durch keine andere ersetzbar? Also mangelt es mir vielleicht irgendwie an Begegnung mit Gott und es fällt mir bisher nicht auf? Inwiefern sollte das so grundlegend in irgendwelcher Hinsicht der Fall sein? Wieso sollte Gott den Menschen bei bestimmten "sakramentalen Handlungen" exklusiv nahekommen und sonst bei nichts in der Art? Mir stellt es sich bisher nicht so dar, womit ich nicht sagen will, daß es bei solchen "sakramentalen Handlungen" nicht auch zu solcher Nähe kommen kann.

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Re: Erbsünde und ihre Auswirkungen

Beitragvon Marsianer » Mo 27. Jun 2022, 10:17

S. 179 hat geschrieben:Der Priester besitzt die göttliche Macht, die darin besteht, Gott und sein Wort unter die Menschen herabsteigen zu lassen. "Der Priester", sagte er [der heilige Pfarrer von Ars], "ist ein Mann, der den Platz Gottes einnimmt, ein Mann, der mit allen Mächten Gottes versehen ist."

[...]

Vor jedem apostolischen Engagement muss der Priester jeden Morgen in das Mysterium der Eucharistie eintreten. Diese kleine Hostie, die das ganze Universum und die Geschichte der Menschheit trägt, muss das Zentrum unserer Existenz, das Leben unseres Lebens sein. Als Priester müssen wir zu dieser weißen Hostie werden, wir müssen uns "transsubstantiieren" lassen und uns Christus selbst Charakterzug um Charakterzug verähneln. In Der Geist der Liturgie schreibt Kardinal Joseph Ratzinger, dass die Eucharistie uns bis in die innersten Tiefen unseres Wesens umgestaltet: "Die Gleichzeitigkeit mit dem Pascha Christi, die sich in der Liturgie der Kirche ereignet, ist ja auch eine anthropologische Realität. Die Feier ist nicht nur Ritus, nicht nur liturisches 'Spiel', sie will ja logike latreia sein, 'Logisierung' meiner Existenz, die innere Gleichzeitigkeit zwischen mir und der Hingabe Christi. Seine Hingabe will meine werden, damit Gleichzeitigkeit sich vollende und Verähnlichung mit Gott geschehe. Darum ist in der alten Kirche das Martyrium wie eine wirkliche Eucharistiefeier angesehen worden: äußerste Realisierung der Gleichzeitigkeit mit Christus, das Einssein mit ihm.


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