Wohin zielt das Brahman-Konzept?

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Goldmädchen
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Re: Wohin zielt das Brahman-Konzept?

Beitragvon Goldmädchen » Sa 4. Mär 2023, 13:37

Es gibt aber einen Widerspruch zwischen zwei Artikeln ist mir eben noch aufgefallen- was denn Verwirklichung ist.
Der erste Artikel von Sri Chinmoy sagt, oder er selbst hatte das so gesagt, dass Samadhis nicht die Gottverwirklichung bringen.
In einem anderen Artikel über Asamprajnata Samadhi von der Seite Yoga Vidya, genauer von Sukadev, steht ja aber dieses ist

"(...) ist Samadhi ohne Dualität, ohne irgendein Objekt, Selbstverwirklichung, Gottverwirklichung. "

Was denn nun ?

Sri Chinmoy schrieb : " Das Nirvikalpa-Samadhi ist das höchste Samadhi, das die meisten spirituellen Meister erreichen, und dann nur, wenn sie die Verwirklichung erlangt haben. "

Also erst Verwirklichung und dann erst kann man "Asamprajnata-Samadhi" erkennen ( nicht erfahren ). Es ist jenseits der Worte.
Verwirklichung wäre laut ihm : " Das Samadhi ist ein Bewusstseinszustand, in dem man ein paar Stunden oder ein paar Tage lang bleiben kann. Nach einundzwanzig Tagen hört der Körper gewöhnlich auf zu funktionieren. Doch wenn man einmal die Verwirklichung erlangt hat, bleibt diese für immer. Und in der Verwirklichung ist das ganze eigene Bewusstsein untrennbar und ewig eins mit Gott geworden. "

Ist Verwirklichung Nibbana ? Ich würde sagen, ja. Braucht es dazu das Nirvikalpa Samadhi, oder nicht ? Ich verstehe es leider nicht.
Zu Nirvikalpa S. / "Asamprajnata-Samadhi" kann ich sagen, darf ich sagen, dass ich das auch kenne, und ich war danach nicht verwirklicht, sicher nicht. Verwirklicht wäre für mich jemand, der gar nicht mehr unheilsam wirken würde. Der voller Gleichmut ist. Auch kann ich nicht sagen, dass dort ein Gefühl der Freude war. Kann aber schon sein. Aber mehr ein Erkennen als ein Gefühl. Es muss dieses sein, da es stimmt, dass ich danach erst nach ca drei Stunden wieder langsam reden konnte. Auch dies stimmt " Wenn man in das Nirvikalpa-Samadhi eintritt, will man normalerweise nicht mehr in die Welt zurückkommen".
Ich wollte zurück, aber erst nein, erst nach ein paar Minuten. Das stimmt aber nicht : " Hier erfreust du dich einer höchst göttlichen, alles durchdringenden, selbstverliebten Ekstase. Du wirst zum Objekt der Freude, du wirst zum sich Freuenden und du wirst zur Freude selbst."
Das habe ich bei der anderen Erfahrung gehabt, dieser von der ich sprach, wo dennoch die Plappertante im Hintergrund war. : )

Kann es sein, dass es da eben manchmal Überschneidungen gibt bei diesen Samadhis oder eher gesagt auch Abweichungen von diesen Erklärungen / Geschichten gibt ? Es von Mensch zu Mensch anders sein kann ?
Das wird wohl so sein. : ) Oder die Artikel oder einer davon gibt es Falsches wieder. Kann aber nicht sein, es ist eben das wie es der Sri Chinmoy erfahren hat / erkannt oder er hat manches aus anderen Quellen.
Und zu Nibbana zurück, es wäre ein bewusster, natürlicher, manifestierender Zustand, kein Samadhi. So verstehe ich das. Oder wenn dann dieses Asamprajnata Samadhi aber erst danach die Verwirklichung möglich.

Zum Glück gibt es ja buddhistische Ansichten, wonach man gar kein Samadhi braucht um Nibbana zu erleben. Nur die Tugendregeln und das Durchdringen der Lehre durch Denken. Naja. Kann aber nicht sein. Denken alleine kann es nicht erleben, die Wahrheit. Es kann auch sein, dass die beiden Lehren ( Yoga und Buddhas Lehre ) nicht zum Selben führen. Verwirklichung was anderes meint als Nibbana. Muss aber auch nicht so sein.

Das wäre ein Thema für das andere Forum. Ich bleibe bei der Lehre Buddhas, die ist nicht so kompliziert finde ich. Da kann das was ich erlebt habe, wieder ganz anders heißen. : ) Aber es ist egal, was es war, wie das wo heißt. Wichtig ist ja nur, dass ich weiter übe, ein friedlicher Mensch zu sein, Freude zu haben, ohne abhängig zu sein von Glück durch Sinneserfahrungen, Gier / Haben wollen, nicht haben wollen, los lassen lerne. Alles Liebe

Marsianer
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Re: Wohin zielt das Brahman-Konzept?

Beitragvon Marsianer » Sa 4. Mär 2023, 15:31

Goldmädchen hat geschrieben:Ja, viel Niederdrückendes fällt weg.

In diesem Video bezog er sich da ausdrücklich auf verinnerlichte, einen selbst im menschlichen Denken bestimmende menschensprachliche Begriffkonzepte und derlei.
Alle Menschen werden als man selbst wahr genommen, oder alles ist dann ein Herzfeld.

In früheren Gesprächen zu soetwas gab es die Ansicht, daß soetwas dann wohl meinen wird, daß ein Mensch dann viel mehr andere Wesen wahrnimmt und daß es da vielleicht dann auch zu manchen Beschreibungen kommt, die stark aus dieser Differenz früher selbst empfundener Dumpfheit entstanden und manches da etwas überbewerteten oder zu pauschal auffassen.
Warum siehst du Einheitsempfinden mit Dingen dieser Welt kritisch ?

Ich sehe ersteinmal nicht kritisch, solche Dinge mehr wahrzunehmen, das wäre für mich aber kein "Einssein", auch wenn ein gewisses Miteinanderverbundensein empfunden werden sein kann, Z.B. auch empfinden daß es gewisse Wirkungen zwischeneinander gibt. Das ist für mich noch ein großer Unterschied.
Der konnte bestimmen, was dieses Wesen oder auch dieses leuchtende Licht mit seinem Körper nun machen soll. Zb jemanden anpöbeln.
Und dann bekam ich Schmerzen im Körper. Ja, ja. Es ist schon unheimlich. Ich bekam in der Nacht auch Besuch von anderen Wesen so schien es.

Was wäre dann "dieses Wesen" und "sein Körper"? Was "andere Wesen"?
Davor oder danach sind Lichtwesen zu mir gekommen. Das war so, dass ich kurz meine Augen öffnete und dann sah ich noch wie lila, weißes Licht, sich aus dem Raum nebenan verflüchtigte durch die Wohnungstür. Ich wusste oder ahnte, dass sie mich untersucht haben, als ich schlief. Denn das jemand noch ungute Absichten hatte, obwohl in diesem herrlichen, Zustand, trotz dieser Gnade, war wohl ungewöhnlich.

Was sollten Lichtwesen an Menschen in der Art untersuchen? Die Beschreibung ähnelt wohl (oft so eingeordneten) "Alien-Berichten"?
Die Lichtwesen könnten Devas gewesen sein. Und da ich so etwas ungutes sagte, wurde mir mein Mund zugeklebt. Ich habe ihn wieder öffnen können später.

Aha.
Hm, wollte sagen, das es dazu in einem Forum noch ein Thema gibt, darin wurde erst heute wieder geschrieben, es hat auch mit den Lichterfahrungen zu tun.

Aha.
Daher sagen ja manche das Nibbana auch heißt, nichts mehr zu wollen.

Hm, ich denke da gibt es allgemein in spirituellen Lehren oft seltsame Darstellungen. Ich würde dann z.B. darauf hinweisen, daß "wollen" und "drängende Begierden verspüren" nicht gleichgesetzt werden sollte. Aber es gibt wohl viele Menschen, die lichtes, leichtes (wie eigenes) Wollen kaum oder nicht von sich bisher kennen?
Nur noch das : Dieser Plapperanteil könnte immer da sein. Wäre es der Sohn ? Das andere wäre der Vater, das alles als in Einheit sehen.

Häh?
Und : Wenn man nun geläutert wird, der Geist, so könnte es ja sein, dass man dann viel länger in diesem Zustand verweilen würde.

In einem wahrhaft lichten wohl schon?
Es soll auch das Erkennen geben, wo kein Plapperanteil mehr da ist, kein Subjekt und Objekt.

Ob ich das kenne, was du da beschreibst? "Ich und du", würde ich aber sagen, hat mit "Plapperbedürfnis" nicht unbedingt was zu tun? Es dürfte öfters etwas mit dem Bedürfnis zu tun haben von anderen, an die sich gerichtet wird, Anstrahlung ("Aufmerksamkeit") zu erfahren?
Wie das gehen soll, kein Subjekt mehr zu haben, darüber könnten folgende Artikel bzw Beiträge aufschluss geben

Aha.
Verwirklichung wäre Nibbana, da ist man bewusster und die Person hat sich gelöst von einem.

Hm.

Goldmädchen
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Re: Wohin zielt das Brahman-Konzept?

Beitragvon Goldmädchen » So 9. Apr 2023, 21:50

Bei dem letzten Beitrag hier, habe ich ein bisschen blöde gedacht, nicht so intelligent gedacht.
Mit Plapperanteil meinen viele buddh. Lehrer das sogenannte Ego, den Kommentierer, den Wertenden, der sich getrennt sieht von
den anderen Menschen, der denkt es gibt ihn der sich idendifziert mit den fünf Daseinsmerkmalen.

Das hier wollte ich teilen, da die Ehrwürdige A. Khema hier erklärt was aus Sicht der Theravada Tradition Erleuchtung ist. Ab Minute 7.35.
Das klingt schon etwas anders, als das was der Lehrer den ich das letzte Mal hier vorgestellt habe erklärt hat / umschrieben hat.
Er sagte etwas von Licht, in einem Licht alles sehen und Gongschlag oder Donner der Stille. Aber sie könnten dennoch das selbe meinen, ist aber nicht wahrscheinlich.

Das Video danach lohnt sich auch, ich verlinke es einfach mal mit. Also bei Minute 8.12, in dem ersten Video sagt die Ehrwürdige A. Khema,
dass das Erkannte und der Erkennende eins werden. "Was erkannt wird ist nichts weiter wie die Bewegung, die im ganzen Universum existiert und diese Bewegung hat keinerlei Substanz und hat niemanden drin, der sich bewegt", sagte sie. Das ist für sie die Erleuchtung.


https://www.youtube.com/watch?v=jxVlwCo-4k0&ab_channel=Buddha-HausMettaVihara
https://www.youtube.com/watch?v=uml1tA15GT0&ab_channel=Buddha-HausMettaVihara

Marsianer
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Re: Wohin zielt das Brahman-Konzept?

Beitragvon Marsianer » Mo 10. Apr 2023, 12:14

https://www.youtube.com/watch?v=jxVlwCo-4k0

Notizen:

Gefahr in den Vertiefungen. Zurückziehen in angenehme Vertiefungen, darin dann eine andere Welt haben.

Keine Vernichtung des Ichs, sondern ein Aufgeben der Ideenwelt. Von dort aus keine Auswahl, entweder weitermachen oder aufhören. Eine scheinbare Gefahr, Unterstützung von solchen erforderlich, die diesen Weg schon gegangen sind. Eigentlich aber ein Auflösen jeder Gefahr. Tief eingewurzelte Schwierigkeiten, daher nur so wenige Menschen dort. "Erlösung". Karmische Dinge dabei im Spiel. Keine automatische Evolution, in der wir alle irgendwann erlöst sind. Soetwas gege es nicht. Getriebenwerden von Instinkten und Impulsen. Samsarische Existenz laut Buddha ein reißender Strom. Dhamma sei ein Floß, das einen über den Strom herübertragen kann. Kleiner "Stromeintritt" meint, sich aus dem reißenden Strom (von einem illusorischen Ufer aus?) in einem Akt des Vertrauens auf das Floß des Dhamma begeben zu haben, welches einen an das tatsächliche Ufer retten kann. Eigentlicher "Stromeintritt" sei dann die Angst des Loslassens soweit aufgegeben hätte, daß man wenigstens einen Moment eine Erleuchtung bekommt, vielleicht nur einen Bruchteil einer Sekunde. Unzweifelhaftes Erkennen, daß hier (in dieser Welt, dem Samsara?) niemand existiert. Erkenner und Erkanntes werden eins. Was erkannt wird ist nichts weiter wie die Bewegung, die im ganzen Universum existiert und keine Substanz hat und niemanden drin, der sich bewegt. Sich nie wieder wie ein Individuum vorkommen, wenn man darüber nachdenkt.

https://www.youtube.com/watch?v=uml1tA15GT0

Notizen:

Ohne Dhamma-Floß allen Einflüssen ausgesetzt, die uns immer wieder herunterreißen können, einer davon Angst. Angst vor dem Vergehen der Dinge. Überschwemmt werden von unseren Sinnen, in samsarischer Existenz herumschwimmen und vergessen, wo man herauskommen kann.

Marsianer
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Re: Wohin zielt das Brahman-Konzept?

Beitragvon Marsianer » Fr 7. Jul 2023, 07:15

|| The Atman || by Swami Sarvapriyananda
Swami Sarvapriyananda speaks on the nature of the self as taught in the Bhagavad Gita (Chapter 2 Verse 11-25).
https://www.youtube.com/watch?v=P14cRV-m6ZY


1:30 But first of all we must appreciate, the central teaching, the general message of Vedanta. And that is without any doubt the teaching on the Atman. That is our subject this morning. You might think: Atman, who or what is that. Its you! Its our rwal nature, what we are. If you notice what Sri Krishna starts of with ... in second chapter ... Sri Krishna starts off by teaching Arjuna the doctrine of the Atman, what we really are, not what we think of our selfes, but what we really are. And this is the central teaching of Vedanta. That if we would really know our selfes if we truely are, Atman means the Self, the Essence, the Self, what we truely are. If we know that, who am I or what am I, then all of our problems would be actually be solved. All the rest, god, the teaching about god, the teaching absout the creation of the universe, the teachings about incarnation, avatara, the teachings about bhakti and jhana, love and devotion and knowledge, the teaching about meditation, teachings about action, karma. All of them come afterwards. Chronologicaly in the Gita ...

Notizen:

Atman ist nicht auf die endliche, sterbliche irdische Existenz begrenzt. Das, die unsterbliche Existenz, ist der Mensch wirklich, nicht der Körper. Krishna lehrt, es war keine Zeit, in der wir, all die Menschen, nicht da gewesen wären. Atman, die Seele, ist unsterblich, hängt nicht von der Existenz des Körpers ab. Wo ist die Kindheit, die Jugend? Im Körper, es seien Änderungen des (physischen) Körpers.

32:00 Accidental properties kommen und gehen, so wie etwas in einer Farbe angestrichen werden kann und später in einer anderen Farbe. Intrinsic properties sind Eigenschaften, die zur der Natur einer Sache gehören, Milch ist z.B. weiß. Feuer ist intrinsisch heiß, es ist heiß solange es brennt, das dadurch in einem Topf erwärmte Wasser nicht. Wenn der Körper, intrinsisch, an sich Existenz hätte, hätte er sie immer und würde sie nicht irgendwann verlieren. Atman ist Existenz selbst. Das was nicht Atman ist, ist Anatman, Nichtexistenz. Was nicht du, Atman/Brahman, bist ist nicht real, es leiht sich Existenz von dir. Alles ist Brahman. Entweder ich bin alles oder ich bin nichts von allem. So wie ein Träumender mittels seines Mind die Traumwelt kreiert.

[Frage von mir: Wenn Hitze z.B. eine intrinsische Eigenschaft von Feuer wäre, gäbe es gemäß soeiner Logik nur ein Feuer? Oder wenn Milch intrinsisch weiß wäre, wäre dann alle was intrinsisch weiß wäre Milch?]

50:00 Atman hat keine Eigenschaften, die körperliche Sinne erfassen könnten. Vielleicht versucht der Mind sich ihn vorzustellen. Atman ist auch kein Instrument von Wissen.

[Anmerkung von mir: Geht dieser Hindu oder die Gita selbst ernsthaft von etwas ähnlich heutigen "wissenschaftlich" reduktionistischen Vorstellungen aus, wonach nur der Körper Sinne habe, mit denen wahrgenommen werden könne? Das würde aber wohl ziemlich viel widersprechen, was auch Hindus oder Buddhisten aus ihren spirituellen Erfahrungen schildern. Ebenso wie ja wohl von etlichen etwas beschrieben wird wie, daß Träumer oft in "Astralwelten" unterwegs seien und darin tatsächlich auch mit anderen real lebenden Wesen interagieren würden.]

1:07 Jede Seele ist potenziell heilig. Das zu manifestieren meint, es zu leben. Nicht nur einem Vortrag zuhören und sich sagen: Ich bin cool, ich bin Atman. Das bedeutet buchstäblich ein Heiliger zu werden im täglichen Leben. Du wirst transformiert und das sehr schnell. Das wird eine schnelle Änderung der Gefühle, Erleichterung mit sich bringen, man nimmt sich als Licht wahr. Die Bedrückung durch die irdischen Umstände wird glänzend. Nicht versuchen ein Heiliger zu sein oder dessen beschriebene Eigenschaften zu kultivieren, das wäre ein lebenslanger Kampf.

Marsianer
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Re: Wohin zielt das Brahman-Konzept?

Beitragvon Marsianer » Sa 8. Jul 2023, 15:38

Es lohnt sich hier wohl das ganze Buchkapitel zu zitieren.
Swami Vivekananda, Jnana Yoga, deutsche Übersetzung von 1923, S. 168-181 hat geschrieben:DER ATMAN


Manche von Ihnen haben Prof. Max Müllers berühmtes Buch:
Drei Vorlesungen über die Vedantaphilosophie gelesen und einige
haben vielleicht Prof. Paul Deussens Buch über diese Philo-
sophie (Das System des Vedanta, Leipzig. 1883, 2. A. 1906) kennen
gelernt. In allem, was im Westen über den religiösen Gedanken in
Indien geschrieben und gedacht worden ist, wird hauptsächlich eine
Schule des indischen Denkens dargestellt, die Advaitismus heißt, die
monistische Richtung der indischen Religion; und man hat manchmal
gedacht, daß alle Lehren der Vedas in diesem einen System der Philo-
sophie zusammengefaßt seien. Es gab immerhin verschiedene Phasen
des indischen Denkens, und vielleicht ist, verglichen mit den andern
Phasen, diese nicht-dualistische Form in der Minderheit. Seit den
ältesten Zeiten hat es verschiedene Sekten des Denkens in Indien
gegeben, und da es hier niemals eine organisierte und anerkannte
Kirche gab oder eine Körperschaft, die die Lehren festsetzte, die von
jeder Schule geglaubt werden mußten, so waren die Leute wirklich
in der Wahl ihrer eigenen Form keinem Zwang unterworfen, sie
konnten ihre eigene Philosophie schaffen und ihre eigenen Sekten
gründen. Wir finden daher, daß seit den ältesten Zeiten Indien an
religiösen Sekten überreich war. In der Gegenwart haben wir ich
weiß nicht wieviel hundert Sekten, und jedes Jahr treten einige neue
auf. Es scheint, daß die religiöse Schöpferkraft dieses Volkes wahr-
haft unerschöpflich ist.

Zuvörderst kann man diese verschiedenen Sekten in zwei Haupt-
unterabteilungen zerlegen, in die orthodoxen und in die nicht-ortho-
doxen. Diejenigen, die an die Schriften der Hindus glauben und die
Vedas für ewige Offenbarungen der Wahrheit erklären, heißen ortho-
dox, und diejenigen, die sich an andere Autoritäten halten und die
Vedas ablehenen, sind die Heterodoxen in Indien. Die hauptsäch-
lichsten modernen unorthodoxen Sekten der Hindus sind die Jaina’s
und die Buddhisten. Unter den orthodoxen erklären einige, daß die
Schriften von viel höherer Autorität seien als die Vernunft; andere
hinwieder behaupten, daß nur der Teil der Schriften, der rational ist,
angenommen werden sollte, der Rest verdiene Ablehnung.

Von den drei orthodoxen Gruppen, den Sankhyas, den Naiyayikas
und den Mimamsakas, haben die beiden ersten, obgleich sie als
philosophische Schulen existierten, keine Sekte gebildet. Die einzige
Sekte, die tatsächlich jetzt in Indien überwiegt, ist die der späteren
Mimamsakas oder der Vedantisten. Ihre Philosophie heißt Vedantis-
mus. Alle Schulen der Hinduphilosophie nehmen ihren Ausgang vom
Vedanta oder den Upanishads, aber die Monisten nahmen den Namen
speziell für sich in Anspruch, weil sie ihre gesamte Philosophie und
Theologie auf die Vedanta und sonst nichts zu begründen wünschten.
Im Laufe der Zeit gewann der Vedanta das Übergewicht, und alle
die verschiedenen Sekten Indiens, die jetzt existieren, können auf die
eine oder die andere seiner Schulen zurückgeführt werden. Dennoch
sind diese Schulen in ihren Ansichten nicht einstimmig.

Wir finden, daß es unter den Anhängern des Vedanta drei Haupt-
unterschiede gibt. In einem Punkte stimmen sie alle überein, und
der ist, daß sie alle an Gott glauben. Alle diese Vedantisten
glauben also, daß die Vedas das geoffenbarte Wort Gottes seien,
nur vielleicht nicht in genau demselben Sinne wie es die Christen
und Mohammedaner glauben, sondern in einem ganz besonderen
Sinne. Ihre Vorstellung ist, daß die Veden ein Ausdruck göttlicher
Erkenntnis sind, und da Gott ewig ist, ist diese Erkenntnis ewig mit
ihm verknüpft, daher sind die Vedas ewig. Es gibt noch einen
anderen gemeinsamen Glaubensgrund, das ist die Schöpfung in Zir-
keln; der Umstand, daß die gesamte Schöpfung entsteht und ver-
geht; sie wird hinausprojiziert, wird gröber und gröber, und am
Ende einer unberechenbaren Zeitperiode wird sie feiner und feiner,
wo sie sich dann auflöst und beharrt, worauf eine Schlußperiode ein-
tritt. Wiederum beginnt sie in die Erscheinung zu treten und den-
selben Prozeß zu wiederholen. Sie nehmen die Existenz eines Ma-
terials als Vorbedingung in Anspruch, das sie akasha nennen, und das
dem Äther der Wissenschaftler gleicht, und weiterhin eine Kraft, die
sie prana nennen. Hinsichtlich dieses prana erklären sie, daß durch
seine Schwingungen das All hervorgebracht wird. Wenn ein Kreis-
lauf zu Ende ist, wird die ganze Manifestierung der Natur feiner und
feiner, sie löst sich in den akasha (Äther, Raum) auf, der weder ge-
sehen noch gefühlt werden kann, aber aus dem alles verfertigt ist.
Alle Kräfte, die wir in der Natur sehen, wie die Gravitation, Attrak-
tion und Repulsion, oder wie Denken, Fühlen und die Nervenkraft,
— alle diese verschiedenen Kräfte lösen sich in den prana auf und
die Schwingung des prana hört auf. In diesem Zustande verbleibt
er bis zum Beginne des nächsten Kreislaufes. Dann beginnt der
prana zu vibrieren, und diese Vibration wirkt auf den akasha, wo-
durch alle die verschiedenen Formen in regelmäßiger Folge ans
Licht treten.

Die erste Schule, über die ich sprechen will, wird die dualistische
Schule benannt. Die Dualisten glauben, daß Gott, der der Schöpfer
und Regierer des Alls ist, ewig von der Natur geschieden bleibt,
daß er ewig getrennt ist von der menschlichen Seele. Gott ist
ewig: die Natur ist ewig: alle Seelen sind ewig. Die Natur und die
Seelen werden manifestiert und verändern sich, aber Gott bleibt der
gleiche. Nach Ansicht der Dualisten ist dagegen dieser Gott persön-
lich, dadurch daß er Eigenschaften hat, nicht, daß er einen Körper
besäße. Er hat menschliche Eigenschaften, Attribute; er ist barm-
herzig, er ist gerecht, er ist mächtig, er ist allmächtig, man kann sich
ihm nähern, man kann zu ihm beten, man kann ihn lieben, er liebt
wieder u. s. f. Mit einem Worte, er ist ein menschlicher Gott, nur
unendlich größer als der Mensch; er hat keine der bösen Eigen-
schaften, die der Mensch hat. „Er ist die Sammelstätte einer unbe-
grenzten Anzahl heiliger Eigenschaften / 4 so lautet ihre Definition.
Er kann nicht ohne Material erschaffen, und die Natur ist das Ma-
terial, aus dem er das gesamte Universum erschafft. Es gibt einige,
nicht dem Vedanta huldigende Dualisten, die Atomisten heißen. Diese
glauben, daß die Natur nichts als eine unendliche Anzahl von Atomen
ist und indem Gottes Wille auf diese Atome einwirkt, erschafft er.
Die Vedantisten lehnen die atomistische Theorie ab; sie sagen, sie
sei völlig unlogisch. Die unteilbaren Atome wären die geometrische
Punkte, ohne Teile und ohne Größe, aber etwas, das keine Teile
oder Größe besäße, werde stets gleich bleiben, auch wenn man es
unzählige Mal multipliziere. Etwas, das keine Teile hat, kann nie
etwas hervorbringen das Teile hat; eine beliebige Zahl Nullen ad-
diert, wird keine einzige ganze Zahl ergeben. Wenn also diese
Atome so beschaffen sind, daß sie weder Teile noch Größe besitzen,
so ist die Schöpfung des Universums aus solchen Atomen einfach
unmöglich. Daher gibt es gemäß den vedantistischen Dualisten
etwas, das sie die unzerlegte oder undifferenzierte Natur nennen, und
hieraus erschafft Gott das Universum. Die breite Masse des indischen
Volkes ist dem Dualismus zugetan. Gemeinhin kann die menschliche
Natur etwas Höheres nicht begreifen. Wir finden, daß neunzig Pro-
zent der Erdbevölkerung, die eine Religion besitzen, Dualisten
sind. Alle Religionen Europas und Westasiens sind dualistisch; sie
müssen es sein. Der gemeine Mann kann sich nichts denken, das
nicht konkret ist. Er zieht es natürlich vor, sich mit dem zu befassen,
was sein Verstand begreifen kann. Das heißt also, er kann höhere
spirituelle Vorstellungen nur dann fassen, wenn man sie seinem
eigenen Niveau anpaßt. Er kann abstrakte Vorstellungen nur so ver-
stehen, daß man sie konkret gestaltet. Das ist die Religion der
breiten Menge auf der ganzen Welt. Sie glauben an einen Gott, der
gänzlich von ihnen getrennt ist, an einen großen König, einen hohen,
mächtigen Monarchen gleichsam. Gleichzeitig machen sie ihn geisti-
ger, reiner, als die irdischen Monarchen zu sein pflegen; sie ver-
leihen ihm alle guten Eigenschaften und halten alle schlechten
Eigenschaften von ihm fern. Als ob es überhaupt möglich wäre,
daß das Gute ohne Böses bestehen könnte; als wenn es einen Be-
griff vom Lichte geben könnte ohne einen Begriff der Finsternis.

Bei allen dualistischen Theorien besteht die Schwierigkeit zunächst
darin, wie es möglich sein soll, daß unter der Herrschaft eines ge-
rechten und gnädigen Gottes, des Sammelbeckens für eine unend-
liche Anzahl von guten Eigenschaften, so zahlreiche Übel in der
Welt existieren? Diese Frage trat in allen dualistischen Religionen
auf, aber die Hindus haben niemals einen Teufel als Antwort hier-
auf erfunden. In völliger Übereinstimmung schoben die Hindus dem
Menschen die Schuld daran zu, und das fiel ihnen leicht. Warum?
Weil, wie ich Ihnen soeben gesagt habe, sie nicht dem Glauben
anhingen, daß die Seelen aus nichts geschaffen seien. Wir sehen in
diesem Leben, daß wir unsere Zukunft gestalten und formen können,
jeder einzelne von uns versucht täglich, das Morgen zu gestalten.
Wir legen heute das Schicksal des morgigen Tages fest; morgen
werden wir das Schicksal des übermorgigen Tages festlegen u. s. f.
Es ist ganz logisch, daß diese Überlegung auch nach rückwärts ange-
stellt werden kann. Wenn wir durch unsere eigenen Taten unser
Schicksal in der Zukunft gestalten, warum sollten wir das nämliche
Gesetz nicht auf die Vergangenheit anwenden dürfen? Wenn bei
einer unendlichen Kette eine bestimmte Anzahl von Gliedern sich
abwechslungsweise wiederholen, dann kann, wenn eine Gruppe dieser
Glieder erklärt werden kann, die ganze Kette erklärt werden. Wenn
wir also bei dieser unendlichen Länge der Zeit einen Teil abtren-
nen und diesen Teil erklären und verstehen können, dann muß, wenn
anders es wahr ist, daß die Natur gleichförmig ist, die nämliche
Erklärung auf die ganze Zeitkette angewandt werden können. Wenn
es wahr ist, daß wir hier in dieser kurzen Spanne Zeit unser eigenes
Geschick auswirken, wenn es wahr ist, daß jedes Ding eine Ursache
haben muß, wie wir es jetzt sehen, so muß es auch wahr sein, daß
das, was wir jetzt sind, die Wirkung unserer ganzen Vergangenheit
ist; deshalb ist niemand anderer dazu nötig, um das Geschick der
Menschen zu gestalten als der Mensch selber. Die Übel in der Welt
sind durch niemand sonst verursacht als durch uns selber. Wir
haben alle diese Übel verursacht; und geradeso, wie wir be-
ständig aus bösen Taten Unglück hervorgehen sehen, so können
wir auch sehen, daß viel von dem in der Welt existierenden Elend
das Ergebnis der früheren Schlechtigkeit des Menschen ist. Daher
ist auf Grund dieser Theorie der Mensch allein verantwortlich; Gott
verdient keinen Vorwurf; er, der ewig barmherzige Vater ist durch-
aus tadelfrei. „Wir ernten, was wir säen.“

Eine andere eigenartige Lehre der Dualisten ist, daß gegebenen-
falls jede Seele das Heil erlangen muß. Keine darf ausgelassen sein.
Durch verschiedene Wechselfälle, verschiedene Leiden und Freuden,
wird jede von ihnen schließlich erlöst werden. Erlöst von was? Die
gemeinsame Vorstellung aller Hindusekten ist die, daß alle Seelen
aus diesem Universum herauskommen. Weder das Universum, das
wir sehen und fühlen, noch sonst ein eingebildetes Universum kann
das rechte, das wirkliche eine sein, weil beide aus Gut und Böse
gemischt sind. Gemäß den Dualisten, befindet sich jenseits dieses
Universums ein glückseliger Ort, wo es nur Gutes gibt, und wenn
dieser Ort erreicht ist, entfällt jede weitere Notwendigkeit geboren
und wiedergeboren zu werden, zu leben und zu sterben; und diese
Vorstellung liegt ihnen sehr am Herzen. Dort gibt es keine Krank-
heit und keinen Tod. Dort herrscht ewiges Glück, und sie werden
vor Gottes Angesicht stehen für ewige Zeit und seiner sich erfreuen
ewiglich. Sie glauben, daß alle Wesen, vom niedrigsten Wurm bis
hinauf zu den höchsten Engeln und Göttern ; alle früher oder später
dieser Welt teilhaftig werden, wo es kein Elend mehr gibt. Aber
unsere Welt wird niemals auf hören; sie schreitet ins Unendliche
fort, obgleich sie sich in Wellen fortbewegt. Obgleich sie sich in
Kreisläufen bewegt, so hat sie doch kein Ende. Die Zahl der Seelen,
die erlöst werden, die Vollkommenheit erreichen müssen, ist unend-
lich. Die einen befinden sich in Pflanzen; die anderen sind in nie-
deren Tieren, wieder andere in Menschen oder in Göttern, aber sie
alle, sogar die höchsten Götter sind unvollkommen, sind in der Ge-
bundenheit. Was heißt Gebundenheit? Die Notwendigkeit geboren
zu werden und die Notwendigkeit zu sterben. Auch die höchsten
Götter sterben. Was sind diese Götter? Sie bedeuten gewisse Zu-
stände, gewisse Dienste. Zum Beispiel bedeutet Indra, der König der
Götter, eine bestimmte Funktion; eine sehr hochstehende Seele hat
diese Stellung im Kreisläufe übernommen, und nach Abschluß des
Kreislaufes wird sie wieder als Mensch geboren werden und auf die
Erde zurückkommen; ein Mensch, der in diesem Kreislauf sich aus-
gezeichnet hat, wird beim nächsten Kreislauf diesen Posten bekleiden.
So verhält es sich mit allen Göttern; sie sind bestimmte Verrich-
tungen, die abwechselnd von Millionen und Millionen Seelen erfüllt
wurden, die nach Ablegung dieser Leistungen zur Erde kamen und
Menschen wurden. Diejenigen, die in dieser Welt gute Werke voll-
bringen und andern behilflich sind, aber nach Belohnung schielen,
in der Hoffnung, entweder sich den Himmel zu verdienen oder von
ihren Nebenmenschen Ruhm zu ernten, müssen bei ihrem Tode den
Nutzen dieser guten Werke ernten; sie werden zu Göttern. Aber dies
ist keine Erlösung; Erlösung wird nimmermehr durch Hoffnung auf
Belohnung gewonnen. Was der Mensch wünscht, das gibt ihm der
Herr. Die Menschen wünschen sich Macht, sie wünschen sich An-
sehen, Götterfreuden, und diese Wünsche werden ihnen erfüllt,
aber die Wirkung einer Tat kann nie ewig sein; die Wirkung wird
sich erschöpfen nach einer gewissen Zeitdauer; es mögen Äonen
sein, aber dann wird sie aufgebraucht sein, die Götter müssen wieder
hinuntersteigen, zu Menschen werden und eine neue Möglichkeit zur
Befreiung erlangen. Die niederen Tiere werden aufsteigen und zu
Menschen werden, zu Göttern werden vielleicht, dann wieder zu
Menschen und zurück zu Tieren, bis zu dem Zeitpunkte, wo sie allen
Verlangens nach Freuden los und ledig werden, allen Lebensdurstes,
allen Hangens am „Ich“ und am „Mein“. Dies „Ich und das Mei-
nige“ ist die wahre Wurzel allen Übels in der Welt. Wenn Sie einen
Dualisten fragen: „Gehört dir dein Kind?“ so wird er erwidern: „Es
gehört Gott. Mein Besitz gehört nicht mir, er gehört Gott.“ Alle
Dinge sollen für Gottes Eigentum gelten.

Diese dualistischen Sekten in Indien waren überzeugte Vege-
tarianer, sie traten lebhaft dafür ein, daß man keine Tiere töten
dürfe. Ihre Ansicht hierüber ist von der der Buddhisten völlig ver-
schieden. Wenn Sie einen Buddhisten fragen: „Warum predigst du
gegen den Tiermord?“ so wird er antworten: „Wir haben kein Recht
jemand das Leben zu nehmen,“ und wenn Sie einen Dualisten fragen:
„Warum tötest du keine Tiere?“, so entgegnet er: „Weil es Gott
gehört.“ So sagt also der Dualist, daß dies „Ich und Mein“ auf Gott
und auf Gott allein angewandt werden darf, er ist das einzige „Ich“
und alles gehört ihm. Wenn ein Mensch zu der inneren Verfassung
gekommen ist, wo er kein „Ich und Mein“ mehr kennt, wenn alles
zu Gottes Gunsten aufgegeben ist, wenn er jedermann liebt und
sogar bereit ist, sein Leben für ein Tier aufzuopfern, ohne den
Wunsch auf Belohnung, dann wird sein Herz gereinigt sein, und
wenn das Herz gereinigt ist, wird die Liebe Gottes in dies Herz Ein-
gang finden. Gott ist der Mittelpunkt der Anziehung für jede Seele,
und der Dualist sagt: „Eine mit Lehm bedeckte Nadel wird durch
einen Magnet nicht angezogen, aber sobald der Lehm abgewaschen
wird, so wird sie angezogen / 4 Gott ist der Magnet, und die mensch-
liche Seele ist die Nadel, und ihre bösen Taten sind der Schmutz und
Staub, der sie bedeckt. Sobald die Seele rein ist, so wird sie auf
dem Wege natürlicher Anziehung zu Gott gelangen und für ewig
bei ihm bleiben, aber sie ist ewig von ihm getrennt. Die vollendete
Seele kann auf ihren Wunsch irgendeine Form annehmen; sie ver-
mag auf ihren Wunsch hundert Körpergestalten annehmen, oder
auch keine, je nach ihrem Wunsch. Sie wird schier allmächtig, aus-
genommen, daß sie nicht schöpferisch wird; diese Macht steht allein
Gott zu. So vollkommen etwas sein mag, nichts kann die Obliegen-
heiten des Universums übernehmen; diese Funktion gehört Gott an.
Alle Seelen aber werden, wenn sie vollkommen werden, für immer
glücklich und leben ewig mit Gott. Das ist der dualistische Stand-
punkt.

Die Dualisten predigen noch eine zweite Idee. Sie protestieren
gegen die Vorstellung zu Gott zu beten: „Herr, gib mir dies und
jenes.“ Sie sind der Ansicht, dies dürfe nicht geschehen. Wenn ein
Mensch um eine materielle Gabe bitten muß, so soll er niedrigere
Wesen darum bitten, einen der Götter oder Engel oder ein vollen-
detes Wesen, wenn es sich um zeitliche Dinge handelt. Gott darf
nur geliebt werden. Es ist fast eine Gotteslästerung zu Gott zu
beten: „Herr, gib mir dies und gib mir das.“ Nach Ansicht der
Dualisten wird daher der Mensch das, was er sich wünscht, früher
oder später erhalten, wenn er einen der Götter bittet, aber wenn
er Erlösung wünscht, dann muß er zu Gott flehen. Das ist die
Religion der breiten Masse in Indien.

Die eigentliche Vedantaphilosophie beginnt mit den sog. gemilder-
ten Nichtdualisten. Sie treffen die Festsetzung, daß die Wirkung
von der Ursache niemals verschieden ist; die Wirkung ist nur die Ur-
sache in einer andern Form dargestellt. Wenn das Universum die
Wirkung und Gott die Ursache ist, so muß es Gott selbst sein —
etwas anderes ist ausgeschlossen. Sie gehen von der Behauptung
aus, daß Gott sowohl die bewirkende wie die materiale Ursache
des Universums ist; daß er selber der Schöpfer und zugleich das
Material ist, aus dem das gesamte Naturgeschehen hinausprojiziert
ist. Für das Wort Schöpfung gibt es im Sanskrit kein Äquivalent,
weil es keine Sekte in Indien gibt, die an eine Schöpfung glaubt, wie
sie im Westen vorgestellt wird, nämlich als etwas, das aus nichts
wird, aus nichts gestaltet wird. Es scheint, daß zu einer bestimmten
Zeit ein paar Leute existierten, die diese Vorstellung hatten, aber
sie wurden bald zum Schweigen gebracht. Gegenwärtig henne ich
keine Sekte, die dies glaubt. Was wir unter Schöpfung verstehen
ist die Projektion von etwas, das bereits existiert. Nun ist gemäß
dieser Sekte das gesamte Universum Gott selber. Er ist das Material
des Universums. Wir lesen in den Veden: „Wie der urnanäbhi (die
Spinne) den Faden aus ihrem eigenen Körper spinnt ... so ist das
gesamte Universum aus diesem (göttlichen) Wesen entsprungen.

Wenn die Wirkung die Wiederholung der Ursache ist, so lautet die
Frage : „Wie ist es denkbar, daß dies materielle, geistlose, unintelli-
gente Universum von einem Gotte hervorgebracht ist, der nicht ma-
teriell, sondern der ewige Intelligenz ist? Wie ist es möglich, daß,
wenn die Ursache rein und vollkommen ist, die Wirkung ganz ver-
schieden davon ist. Was sagen die gemilderten Nichtdualisten dazu?
Sie haben eine ganz eigentümliche Theorie. Sie sagen, daß diese drei
Existenzen, Gott, Natur und Seele, eines sind. Gott ist gleichsam
die Seele, und Natur und Seelen sind der Körper Gottes. Gerade wie
ich eine Seele und einen Körper habe, so sind das gesamte Universum
und alle Seelen der Körper Gottes und Gott ist die Seele der Seelen.
So ist also Gott die materiale Ursache des Universums. Der Körper
mag sich verändern, — er kann alt oder jung, stark oder schwach
sein, das berührt die Seele nicht im geringsten. Es ist die gleiche,
ewige Existenz, die sich durch! den Körper hindurch manifestiert.
Körper kommen und gehen, aber die Seele ändert sich nicht. Ge-
radeso ist das ganze Universum der Körper Gottes, und in diesem
Sinne ist es Gott. Abgesehen von diesem Material schafft er das
Universum, und am Schlüsse eines Kreislaufes wird sein Körper
feiner, er zieht sich zusammen; bei Beginn eines neuen Kreislaufes
wird er hinwieder ausgedehnter und aus ihm entwickeln sich all die
verschiedenen Welten.

Beide, sowohl die Dualisten wie die gemilderten Nichtdualisten,
geben zu, daß die Seele durch ihre Natur rein ist, aber sie wird durch
ihr eigenes Tun unrein. Die gemilderten Nichtdualisten sprechen
dies schöner aus als die Dualisten, indem sie sagen, daß der Seele,
Reinheit und Vollkommenheit zusammengezogen und wieder mani-
festiert wird, und was wir jetzt zu tun suchen nichts ist als daß
Wiedermanifestieren der Intelligenz, der Reinheit, der Kraft, was der
Seele natürlich ist. Seelen haben eine Menge von Eigenschaften,
aber nicht die der Allmacht oder der Allwissenheit. Jede böse Tat
zieht die Natur der Seele zusammen, und jede gute Tat dehnt sie
aus, und alle diese Seelen sind Teile Gottes. „Wie vom lodernden
Feuer Millionen Funken von gleichem Wesen sprühen, so sind aus
diesem unendlichen Wesen, Gott, alle diese Seelen entsprungen / 4
Jede hat das nämliche Ziel. Der Gott der gemilderten Nichtdua-
listen ist auch ein persönlicher Gott, der Sammelort einer unend-
lichen Menge seliger Eigenschaften, nur dringt er in jedes Ding im
Universum »ein. Er ist in jeglichem Ding und überall immanent;
und wenn die Schriften sagen, daß Gott alles ist, so heißt das, Gott
dringt in alles ein; es heißt nicht, daß Gott zur Mauer wird, sondern
daß Gott in der Mauer ist. Es gibt kein Teilchen, kein Atom im
Weltall, wo er nicht wäre. Die Seelen sind alle begrenzt; sie sind
nicht allgegenwärtig. Wenn ihre Kräfte sich ausdehnen und sie voll-
kommen werden, gibt es keine Geburt und keinen Tod mehr für sie;
sie leben für immer mit Gott.

Wir kommen jetzt zum Advaitismus, der letzten und nach unserer
Meinung höchsten Blüte der Philosophie und Religion, die irgend-
ein Land zu irgendeiner Zeit hervorgebracht hat, wo das menschliche
Denken seinen höchsten Ausdruck erreicht und geradezu den Schleier
des Mysteriums lüftet, das undurchdringlich zu sein scheint. Dies
ist der nichtdualistische Vedantismus. Er ist zu unfaßlich, zu er-
haben, um die Religion der Massen zu sein. Sogar in seinem Ge-
burtslande, in Indien, wo er in den letzten dreitausend Jahren sich
als der höchste Standpunkt behauptet hat, hat er die Massen nicht
durchdringen können. Wenn wir weiter gehen, so werden wir fin-
den, daß es auch für die einsichtsvollsten Menschen in irgendeinem
Lande schwierig ist, den Advaitismus zu verstehen. Wir haben uns
selber schwach gemacht; wir haben uns selbst erniedrigt. Wir
mögen große Ansprüche machen, aber wir wünschen uns natürlicher-
weise auf jemand zu stützen. Wir sind wie kleine, schwache Pflan-
zen, die immer einen Beistand wünschen. Zu wieviel Malen bin ich
nach einer „bequemen Religion“ gefragt worden. Sehr wenig Men-
schen fragen nach der Wahrheit, noch weniger wagen es die Wahr-
heit zu ergreifen, und die wenigsten haben die Kühnheit, ihr in allen
ihren praktischen Bezügen zu folgen. Das ist nicht ihr Fehler; es
ist Schwäche des Gehirns. Jeder neue Gedanke, besonders ein hoch-
gearteter Gedanke, stiftet eine Verwirrung, versucht gleichsam einen
neuen Kanal zu graben in der Hirnmasse, und das bringt das System
aus der Verfassung, bringt die Menschen aus dem Gleichgewicht. Sie
sind an gewisse Umgebungen gewöhnt und haben eine ungeheure
Masse von altem Aberglauben ererbt, Ahnenglaube, Klassenvorurteile,
Landesglauben, Volksaberglauben und hinter dem allen die große
Menge von Aberglauben, die jedem menschlichen Wesen angeboren
ist. Und doch gibt es ein paar tapfere Seelen in der Welt, die es
wagen, die Wahrheit zu begreifen, die es wagen, sie zu ergreifen und
ihr bis zum Ende Folge zu leisten.

Was erklärt der Advaitist? Er sagt, wenn es einen Gott gibt, so
muß dieser Gott die materiale und die bewirkende Ursache des Uni-
versums sein. Er ist nicht allein der Schöpfer, er ist auch der Ge-
schaffene. Er selber ist das Universum. Wie kann das sein? Gott,
der Reine, der Geist, ist zum Universum geworden? Ja; offenbar ist
es so. Das, was alle unwissenden Leute als das Universum sehen,
existiert in Wirklichkeit nicht. Was sind Sie und ich und alle Dinge,
die wir sehen? Bloße Autosuggestion; es gibt bloß eine Existenz,
das Unendliche, das immerselige Eine. In dieser Realität träumen
wir alle diese verschiedenen Träume. Es ist der Atman hinter allem,
das Unendliche, hinter dem Gewußten, hinter dem Wißbaren; in
diesem und durch dieses hindurch sehen wir das Universum. Das
ist die einzige Realität. Es ist dieser Tisch; es ist die Zuhörerschaft
vor mir; es ist die Mauer; es ist jegliches Ding, sieht man von
Name und Form ab. Entkleiden Sie den Tisch seiner Form, nehmen
Sie ihm den Namen; was übrigbleibt ist es. Der Vedantist nennt es
weder „ihn“ noch „Sie“; das sind alles Erdichtungen, Täuschungen
des menschlichen Gehirnes; es gibt kein Geschlecht in der Seele.
Menschen, die sich im Zustande der Illusion befinden, die wie Tiere
geworden sind, sehen eine Frau oder einen Mann; lebende Götter
sehen keine Männer oder Frauen. Wie können sie, die jenseits der
Dinge stehen, eine sexuelle Vorstellung haben? Jedermann und
jedes Ding ist der Atman, das Selbst, das Geschlechtlose, das Reine,
das Immerselige. Es ist Name, Form, Körper, die materiell sind,
sie verursachen den ganzen Unterschied. Wenn Sie diese zwei Unter-
schiede von Namen und Form beseitigen, so ist das ganze Uni-
versum das Eine; es gibt keine zwei, sondern überall Eins. Sie und
ich sind eines. Es gibt weder Natur noch Gott, noch Universum, nur
diese eine unendliche Existenz, aus der durch Name und Form all
dies geschaffen ist. Wie kann man den Erkenner erkennen? Er kann
nicht erkannt werden? Wie können Sie Ihre eigene Seele sehen? Sie
können sich nur selber reflektieren. So ist dies ganze Universum
der Reflex des einen, ewigen Wesens, des Atman. Ebenso ist das
ganze Universum die Reflexion dieses einen ewigen Wesens, des
Atman, und jenachdem der Reflex auf gute oder schlechte Reflek-
toren fällt, tauchen gute oder schlechte Bilder auf. So ist beim Mör-
der der Reflektor schlecht und nicht das Selbst. Beim Heiligen ist
der Reflektor rein. Das Selbst, der Atman, ist seiner eigensten Natur
nach rein. Es ist dieselbe eine Existenz des Universums, die vom 1
niedersten .Wurm bis zu dem höchsten und vollkommensten Wesen
sich selbst reflektiert. Das Ganze dieses Universums ist eine Ein-
heit, eine Existenz, physisch, geistig, moralisch und spirituell. Wir
betrachten diese eine Existenz in verschiedenen Formen und schaffen
alle diese Bilder auf Grund ihrer. Dem Wesen, das sich selber zu
einem menschlichen begrenzt hat, erscheint sie als die Welt des
Menschen. Dem Wesen, das sich in einer höheren Existenzsphäre
bewegt, mag sie als Himmel erscheinen. Es gibt nur eine Seele im
Universum, nicht zwei. Sie tritt weder auf noch verschwindet sie.
Sie ist nicht geboren und stirbt nicht, sie wird nicht wiedergeboren.
Wie kann sie sterben? Wohin kann sie gehen? Alle diese Himmel,
alle diese Erden, alle diese Orte sind leere Einbildungen des Geistes.
Sie existieren nicht; auch in der Vergangenheit haben sie nie exi-
stiert, und so werden sie auch in der Zukunft nicht existieren.

Ich bin allgegenwärtig, ewig. Wohin kann ich gehen? Wo bin ich
nicht längst? Ich lese in diesem Buche der Natur. Seite nach Seite
vollende ich und blättere ich um, und ein Lebenstraum nach dem
andern schwindet dahin. Eine andere Seite des Lebens wird aufge-
schlagen; ein anderer Lebenstraum beginnt und endet in ständigem
Wechselspiel, und wenn ich meine Lektüre beendet habe, lasse ich
es liegen und stehe beiseite, ich werfe das Buch fort und die ganze
Sache ist aus. Was predigt der Advaitist? Er entthront alle Götter,
die in diesem Universum je existiert haben oder je existieren werden
und setzt das Selbst des Menschen auf den Thron, den Atman, der
höher ist als Sonne und Mond, höher als die Himmel, größer als das
große Universum selber. Kein Buch, keine Schrift, keine Wissen-
schaft kann den Ruhm des Selbst, das als Mensch in die Erscheinung
tritt, als der ruhmreichste Gott, der je war, der einzige Gott, der
je existierte und existieren wird, aussinnen. Darum brauche ich nie-
mand zu verehren als mein Selbst. „Ich verehre mein Selbst!“ sagt
der Advaitist. Vor wem soll ich mich beugen? Ich beuge mich vor
meinem Selbst. An wen soll ich mich um Hilfe wenden? Wer kann
mir helfen, — dem unendlichen Weltwesen? Das sind törichte
Träume, Halluzinationen; wer hilft einem? Niemand. Wo Sie einen
schwachen Menschen, einen Dualisten sehen, der klagt und von
irgendwoher über den Wolken Hilfe erfleht, liegt der Grund darin,
daß er nicht weiß, daß der Himmel auch in ihm ist. Er wünscht
Hilfe vom Himmel und die Hilfe kommt. Wir sehen, daß sie kommt;
aber sie kommt aus seinem eigenen Inneren und er nimmt irrtümlich
an, sie käme von außen. Mitunter mag ein kranker Mensch, der im
Bette liegt, ein Pochen an der Tür vernehmen. Er steht auf, öffnet
sie und findet niemand da. Er geht ins Bett zurück und hört wieder
ein Klopfen. Er springt nochmals auf und öffnet abermals. Niemand
ist da. Schließlich merkt er, daß es sein eigenes Herz war, das
klopfte, und daß er sich einbildete, es wäre ein Klopfen an der Tür
gewesen. So vollendet der Mensch nach dem vergeblichen Versuche,
allerlei Götter außerhalb seiner selbst zu finden, den Kreislauf und
kommt zu dem Punkte zurück, von dem er ausgegangen war, — von
der menschlichen Seele, und er findet, daß der Gott, den er in der
Höhe und der Tiefe, in jedem Bache, in jedem Tempel, in Kirchen
und Himmeln suchte, — daß dieser Gott, den er sich stets als im
Himmel sitzend und die Welt lenkend vorgestellt hat, sein eigenes
Selbst ist. Ich bin Er, und Er ist ich. Niemand als ich war Gott,
und das kleine, empirische Ich existierte niemals.

Weiter, wie ist es denkbar, daß dieser vollkommene Gott ent-
täuscht wurde? Er wurde nicht enttäuscht. Wie konnte ein voll-
kommener Gott träumen? Er träumte nicht. Wahrheit träumt nicht.
Die bloße Frage schon, womit diese Illusion anhebt, ist absurd.
Illusion entsteht nur aus Illusion. Sobald die Wahrheit erblickt
wird, kann es keine Illusion mehr geben. Illusion beruht stets auf
Illusion; sie beruht nicht auf Gott, auf der Wahrheit, auf dem
Atman. Sie befinden sich nie in der Illusion; die Illusion ist in
Ihnen, vor Ihren Augen. Hier ist eine Wolke; eine andere Wolke
zieht auf, stößt sie beiseite und nimmt ihren Platz ein. Wieder
kommt eine andere und stößt diese fort. Wie vor dem ewigen blauen
Himmel Wolken von verschiedener Gestalt und Farbe aufziehen,
für kurze Zeit verweilen und verschwinden, und das gleiche ewige
Blau bestehen bleibt, geradeso sind Sie ewig rein, ewig vollkommen ;
Sie sind die wahren Götter des Universums; nein doch, es gibt keine
zwei: es gibt bloß das Eine. Es ist ein Fehler zu sagen: Sie und
ich; sage: Ich. Ich bin es, der mit Millionen von Mündern ißt, wie
kann ich hungrig sein? Ich bin es, der durch eine unzählige Menge
von Händen schafft; wie kann ich untätig sein? Ich bin es, der das
Leben des ganzen Universums lebt; wo gibt es für mich Tod? Ich
bin jenseits allen Lebens, jenseits allen Todes. Wo soll ich nach
Freiheit suchen, wo ich doch kraft meiner Natur frei bin? Wer kann
mich binden, den Gott des Universums? Die Schriften der Welt sind
nur kleine Karten, die meinen Ruhm aufzeichnen wollen, da ich das
einzige Existierende im Universum bin. Was bedeuten also diese
Bücher für mich? So spricht der Advaitist.

„Wisse die Wahrheit und sei frei im Augenblick.“ Alle Finsternis
wird dann schwinden. Wenn man sich selber als eins mit dem un-
endlichen Wesen des Universums erkannt hat, wenn alle Geschieden-
heit aufgehört hat, wenn alle Männer und Frauen, alle Götter und
Engel, alle Tiere und Pflanzen und das ganze All sich in diese Ein-
heit aufgelöst hat, dann weicht alle Angst. Kann ich mir selber
Schaden zufügen? Kann ich mich selber töten? Kann ich mich sel-
ber beleidigen? Wen soll ich fürchten? Können Sie sich selber
fürchten? Aller Kummer wird schwinden? Was kann mir Kummer
verursachen? Ich bin die eine Existenz des Alls. Dann wird allq
Eifersucht schwinden; auf wen soll ich eifersüchtig sein? Auf mich
selber? Dann werden alle bösen Affekte schwinden. Gegen wen
kann ich mich ereifern? Gegen mich selbst? Außer mir gibt es
niemand im All. Dies, so sagt der Vedantist, ist der einzige Weg
zum Wissen. Vernichte die Differenzierung, vertilge den Aberglau-
ben, daß es mehrere gibt. „Der, der in der Welt des Mannigfaltigen
das Eine sieht; der, der in der Menge des Fühllosen das einzig füh-
lende Wesen erblickt; der, welcher in dieser Schattenwelt das Wirk-
liche ergreift, dem wird ewiger Friede zuteil, niemand sonst, nie-
mand sonst.“

Das sind die springenden Punkte der drei Schritte, die das indische
Denken in Hinsicht auf Gott genommen hat. Wir haben gesehen,
daß es mit dem persönlichen, dem außerweltlichen Gott begann.
Von dem äußeren kam es zu dem inneren kosmischen Körper, Gott
wurde dem Universum immanent, und es endete damit, daß es die
Seele mit Gott identifizierte und zu einer Seele vereinigte, alle diese
verschiedenen Manifestationen im Universum in eins setzte. Das ist
das letzte Wort der Vedas. Es beginnt mit dem Dualismus, geht
durch einen abgeschwächten Monismus hindurch und endet mit voll-
kommenen Monismus. Wir wissen, wie nur sehr wenige auf dieser
Welt zu diesem Letzten gelangen können, oder vielmehr daran zu
glauben wagen, und wie es noch wenige gibt, die in Übereinstim-
mung damit handeln. Und doch wissen wir, daß hierin die Erklärung
für alle ethischen Systeme liegt, für alle Moral und Spiritualität in
der Welt. Woher kommt es, daß jede Ethik sagt: „Tu dem Andern
Gutes?“ Wo liegt die Erklärung dafür? Warum haben alle großen
Männer die Brüderlichkeit unter den Menschen gepredigt, und noch
größere Männer die brüderliche Gemeinschaft alles Lebendigen?
Weil, ob sie sich dessen bewußt waren oder nicht, hinter dem allen,
durch all ihren unverständlichen und persönlichen Aberglauben hin-
durch, das ewige Licht des Selbst hervorleuchtete, alle Mannigfaltig-
keit verneinte und bestätigte, daß das ganze Universum nur eines ist.

Das letzte Wort gab uns das eine Universum, das wir durch die
Sinne als Materie, durch den Intellekt als Seelen und durch die
Geistseele als Gott erkennen. Für den Menschen, der sich selber in
Schleier hüllt, was die Welt Bosheit und Übel nennt, ändert sich dies
ganze Universum und wird zu einem entsetzlichen Schauplatz; für
einen anderen, der Vergnügen wünscht, wird das ganze Universum
sein Aussehen verändern und zu einem Himmel werden, und für
den vollkommenen Menschen wird das Ganze verschwinden und zu
seinem eigenen Selbst werden.

Da es in der Gegenwart eine Gesellschaft gibt, so sind alle diese
drei Phasen notwendig; die eine verneint die andere nicht; die eine
ist nur die Erfüllung der anderen. Der Advaitist oder der gemilderte
Advaitist sagt nicht, daß der Dualismus vernichtet sei; er ist eine
nichtige Ansicht, aber eine niedrigerstehende. Er ist auf dem Wege
zur Wahrheit; darum lasse jeden je nach seiner eigenen Ansicht über
das Universum tätig sein, in Übereinstimmung mit seinen Vorstel-
lungen. Kränke niemand, lehne niemandes Stellungnahme ab; nimm
den Menschen, wo er steht und, wenn du kannst, leih ihm eine hilf-
reiche Hand und versetze ihn auf einen höheren Standpunkt, aber
kränke niemand und zerstöre nichts. Auf die Dauer werden alle zur
Wahrheit gelangen. „Wenn alle Wünsche des Herzens überwunden
sind, dann wird dieses Sterbliche unsterblich werden;“ dann wird
der Mensch zu Gott werden.

Englische Fassung: https://en.wikisource.org/wiki/The_Complete_Works_of_Swami_Vivekananda/Volume_2/Jnana-Yoga/The_Atman

Marsianer
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Re: Wohin zielt das Brahman-Konzept?

Beitragvon Marsianer » Sa 8. Jul 2023, 18:21

Swami Vivekananda, Jnana Yoga, deutsche Übersetzung von 1923, S. 182-189 hat geschrieben:DER ATMAN:

SEINE FESSEL UND FREIHEIT


Gemäß der Advaitaphilosophie gibt es nur ein wirkliches Ding im
Universum, das Brahman heißt; jedes andere Ding ist unwirklich,
durch die Macht der Maya aus dem Brahman manifestiert und her-
gestellt. Unser Ziel ist, zu diesem Brahman zurückzukehren. Jeder
von uns ist dieses Brahman, diese Wirklichkeit plus dieser Maya.
Wenn wir uns von dieser Maya, oder von dieser Unwissenheit be-
freien können, dann werden wir zu dem, was wir in Wirklichkeit
sind. Gemäß dieser Philosophie besteht jeder Mensch aus drei
Teilen, dem Körper, dem inneren Organ oder dem Geiste und, da-
hinter, dem, was Atman, das Selbst heißt . Der Körper ist die äußere
Hülle und der Geist ist die innere Hülle des Atmans, der der wirk-
lich Erkennende und Genießende, das Wesen des Körpers ist, der
auf Veranlassung des inneren Organes oder des Geistes auf den
Körper wirkt.

Der Atman ist das einzige im menschlichen Körper Bestehende,
das immateriell ist. Da er immateriell ist, kann er kein Zusammen-
gesetztes sein, und da er keine Zusammensetzung ist, gehorcht er
dem Gesetze der Ursache und Wirkung nicht, und ist somit un-
sterblich. Das, was unsterblich ist, kann keinen Anfang haben, weil
jedes Ding, das seinen Anfang hat, auch ein Ende haben muß. Dar-
aus folgt ebenso, daß er formlos sein muß; ohne Stoff kann es
keine Form geben. Jedes Ding, das Form hat, muß einen Anfang
und ein Ende haben. Niemand unter uns hat eine Form gesehen, die
keinen Anfang hat und kein Ende haben wird. Eine Form entsteht
aus einer Verbindung von Kraft und Materie. Dieser Stuhl hat eine
eigentümliche Form, d. h. eine gewisse Stoffmenge ist von einer ge-
wissen Kraftmenge bearbeitet und gezwungen worden, eine beson-
dere Gestalt anzunehmen. Die Gestalt ist das Ergebnis einer Ver-
einigung von Materie und Kraft. Diese Vereinigung kann nicht ewig
sein; bei jeder Kombination muß ein Zeitpunkt eintreten, wo sie sich
auflöst. So haben alle Formen einen Anfang und ein Ende. Wir
wissen, daß unser Körper zu Grunde geht; er hat einen Anfang und
wird ein Ende haben. Aber das Selbst, das keine Form hat, kann
durch das Gesetz vom Anfang und Ende nicht gebunden werden.

Es existiert seit unendlicher Zeit; gerade wie die Zeit ewig ist, so;
ist das Selbst des Menschen ewig. Zweitens muß es alldurchdring-
lich (raumlos) sein. Nur die Form ist durch den Raum bedingt und
begrenzt; was formlos ist, kann durch den Raum nicht einge-
schlossen werden. So ist gemäß dem Advaita-Vedanta das Selbst, der
Atman, in Ihnen, in mir, in jedermann allgegenwärtig. Sie sind
ebensosehr in der Sonne als in dieser Erde, so sehr in England wie
in Amerika. Aber das Selbst wirkt durch den Geist und durch den
Körper, und wo diese vorhanden sind, ist seine Wirkung sichtbar.

Jedes Werk, das wir tun, jeder Gedanke, den wir denken, ruft
einen Eindruck im Geiste hervor, der im Sanskrit samskara heißt,
und die Gesamtsumme dieser Eindrücke wird zu der gewaltigen
Kraft, die Charakter heißt. Der Charakter eines Menschen ist das,
was er sich selber geschaffen hat; er ist das Ergebnis der geistigen
und physischen Handlungen, die er in seinem Leben ausgeführt hat.
Die Gesamtsumme der samskaras ist die Kraft, die einem Menschen
nach seinem Tode die nächste Richtung gibt. Ein Mensch stirbt; der
Körper zerfällt und kehrt zu seinen Elementen zurück, aber die sam-
skaras bleiben bestehen, sie hängen dem Geiste an, der, aus einem
feineren Materiale hergestellt, sich nicht auflöst, denn je feiner das
Material ist, desto länger hält es aus. Aber auf die Dauer löst sich
der Geist auch auf, und darum bemühen wir uns. In dieser Be-
ziehung ist das beste erläuternde Bild, das mir einfällt, der Wirbel-
wind. Verschiedene Luftströme die aus verschiedenen Richtungen
kommen, treffen auf einander und werden an dem Treffpunkte ver-
einigt; sie geraten in Drehung; bei dieser Umdrehung bilden sie an
einer Stelle eine Staubmasse, die Papierschnitzel, Stroh usw. in sich
hineinreißt, um sie dann wieder fallen zu lassen und zu etwas anderm
zu greifen; so wälzen sie sich weiter im Kreise fort und gestalten aus
dem Material, das sie vorfinden körperliche Massen.

Ebenso verhält es sich mit den Kräften, die im Sanskrit prana
heißen; sie vereinigen sich und formen aus der Materie den Körper
und den Geist; dann bewegen sie sich weiter, bis der Körper zerfällt,
wo sie dann anderes Material aufgreifen, um einen andern Körper
zu gestalten, und wenn dieser zu Grunde geht, entsteht ein neuer,
und so geht der Prozeß weiter. Kraft kann ohne Materie sich nicht
fortbewegen. So bleibt also, wenn der Körper zerfällt, der Geiststoff
übrig, indem der Prana in der Form von samskaras auf ihn wirkt,
dann geht er zu einem anderen Punkte weiter, reißt einen andern
Wirbel von neuen Materialien empor und beginnt mit einer
neuen Bewegung; so bewegt er sich von Ort zu Ort, bis alle Kraft
aufgebraucht ist, dann zerfällt und endet. So werden wir also, wenn
der Geist aufhört und gänzlich in Teile zerbrochen ist, keine sam-
skara übrig ist, völlig frei sein, und bis zu dieser Zeit sind wir ge-
bunden; bis dahin ist der Atman vom Wirbel des Geistes überdeckt
und bildet sich ein, von Ort zu Ort fortgetragen zu werden. Wenn
der Wirbel sich auflöst, merkt der Atman, daß er alles zu durch-
dringen vermag, daß er gehen kann, wohin es ihm beliebt, daß er
vollständig frei ist, daß er so viele Geister und Körper zu bilden
vermag, wie er will, aber daß er bis dahin nur mit dem Wirbel fort-
schreiten kann. Diese Freiheit ist das Ziel, auf das wir uns
zubewegen.

Angenommen, es sei ein Ball in diesem Zimmer, wir hätten jeder
einen Croquetschläger in der Hand und fangen an, Ball zu schlagen;
wir versetzen ihm hundert Stöße, treiben ihn von Ort zu Ort, bis er
zuletzt aus dem Raume fliegt. Mit welcher Kraft und in welcher
Richtung wird er sich bewegen? Das wird nach den Kräften zu
bestimmen sein, die, solange er im Zimmer war, auf ihn eingewirkt
haben. All die verschiedenen Stöße, die ihm erteilt worden sind,
werden ihre Wirkungen haben. Jede unserer geistigen und physischen
Handlungen ist ein solcher Stoß. Der menschliche Geist ist ein Ball,
der getrieben wird. Wir werden die ganze Zeit in diesem Raum
der Welt herumgestoßen, und unser Austritt aus ihm ist durch die
Kraft aller dieser Stöße bestimmt; ebenso werden alle unsere Hand-
lungen in dieser Welt unsere künftige Geburt bestimmen. Unsere
gegenwärtige Geburt ist mithin das Ergebnis unserer Vergangenheit.
Dies ist der eine Fall: angenommen, ich gebe Ihnen eine Kette
ohne Ende, in welcher immer ein schwarzes und ein weißes Glied
aufeinanderfolgen, ohne Anfang und ohne Ende, und angenommen,
ich frage Sie nach der Natur dieser Kette. Zunächst werden Sie
eine Schwierigkeit darin finden, wie man ihr Wesen bestimmen
soll, da die Kette nach beiden Seiten hin endlos ist, aber bald
finden Sie heraus, daß es eine Kette ist. Sie entdecken bald, daß
diese unendliche Kette die Wiederholung der zwei Glieder ist, des
schwarzen und des weißen, und daß, wenn man sie ins Unendliche
vervielfacht, eine ganze Kette entsteht. Wenn Sie das Wesen von
einem dieser Glieder kennen, kennen Sie das Wesen der ganzen Kette,
weil sie eine vollkommene Wiederholung ist. Alle unsere Einzelleben,
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, bilden gleichsam eine unend-
liche Kette, von welcher jedes Glied ein Leben bedeutet, mit zwei
Enden, der Geburt und dem Tode, aber als Ganzes ohne Anfang und
ohne Ende. Was wir hier sind und tun, wird immer und immer wie-
derholt, mit nur wenig Veränderung. Wenn wir also die beiden Glie-
der kennen, werden wir alle Ereignisse, die wir in dieser Welt durch-
leben werden, kennen. Wir sehen daher, daß unser Eintritt in diese
Welt durch unsere vorhergehenden Durchgänge genau bestimmt wird.
Ähnlicherweise sind wir in dieser Welt durch unsere eigenen Hand-
lungen. Gerade wie wir heraustreten, mit der Gesamtsumme unserer
gegenwärtigen Handlungen beschwert, so sehen wir auch, daß wir
mit der Gesamtsumme unserer früheren Handlungen beschwert ein-
treten; das, was uns herausbringt ist das ganz gleiche Ding wie
das, was uns hineinbringt. Was bringt uns hinein? Unsere ver-
gangenen Taten. Was bringt uns hinaus? Unsere eigenen Taten
hier, und so geht es immer weiter fort. Wie die Raupe, die den
Faden aus ihrem Munde nimmt, sich im Kokon einspinnt und sich
schließlich im Kokon gefangen sieht, so haben wir uns durch unsere
Handlungen selber gebunden, wir haben selber das Netzwerk
unserer Handlungen über uns geworfen. Wir haben das Gesetz der
Kausalität in Umlauf gesetzt und finden es nun schwierig, uns
selber davon auszunehmen. Wir haben das Rad in Bewegung ge-
setzt und werden von ihm zermalmt. So lehrt uns diese Philosophie,
daß wir durch unsere eigenen Handlungen, gleichviel ob gut oder
böse, unterschiedslos gebunden sind.

Der Atman kommt nicht und geht nicht, er ist weder geboren
noch stirbt er. Er ist die Natur, die sich vor dem Atman bewegt
und der Widerschein dieser Bewegung trifft den Atman, und der
Atman denkt unverständigerweise, er bewege sich und nicht die
Natur. Wenn der Atman so denkt, so ist er gefesselt, doch wenn er
herausfindet, daß er sich nie bewegt, dann ist er allgegenwärtig,
dann kommt die Freiheit. Der gefesselte Atman heißt Jiva. So
sehen Sie also, daß wenn gesagt wird, der Atman komme und gehe,
dies nur zur Erleichterung des Verständnisses gesagt wird, geradeso
wie man herkömmlich beim Studium der Astronomie aufgefordert
wird anzunehmen, die Sonne bewege sich um die Erde, obgleich das
nicht der Fall ist. So kommt also der Jiva, die Seele, zu höheren
oder zu tieferen Zuständen. Dies ist das bekannte Gesetz der Wieder-
geburt oder Reinkarnation, und diesem Gesetz ist die ganze Schöp-
fung unterworfen.

In diesem Lande findet man es zu schrecklich, daß der Mensch
von einem Tiere abstammen sollte. Warum? Was soll der Zweck
dieser Millionen Tiere sein? Sind sie nichts? Wenn wir eine Seele
haben, so haben auch sie eine, und wenn sie keine haben, so haben
auch wir keine. Es ist unsinnig, zu sagen, daß der Mensch allein
eine Seele hat und die Tiere nicht. Ich habe Menschen gesehen
die schlimmer waren als Tiere.

Die menschliche Seele hat sich in tieferen und höheren Formen
aufgehalten, ist von der einen zur andern gewandert, und zwar ge-
mäß den samskaras, den Eindrücken, aber erst in der höchsten
Form als Mensch gelangt sie zur Freiheit. Die menschliche Form
ist sogar höher als die Engelform, von allen Formen ist sie die
höchste; der Mensch ist das höchste Wesen der Schöpfung, weil er
zur Freiheit gelangt.

Dies ganze Universum war im Brahman, und es wurde gleichsam
aus ihm herausprojiziert, es bewegte sich fort, um zu dem Ur-
sprünge zurückzukehren, von dem es ausgegangen ist, wie die Elek-
trizität, die aus dem Dynamo austritt, den Stromkreis durchläuft
und zu ihm zurückkehrt. Ebendasselbe ist bei der Seele der Fall.
Vom Brahman projiziert, durchläuft sie alle Arten pflanzlicher und
tierischer Formen und gelangt zuletzt in den Menschen; der Mensch
ist der nächste Schritt zum Brahman. Zum Brahman zurückzu-
kehren, von dem wir ausgestrahlt worden sind, ist der große Kampf
des Lebens. Ob die Leute es wissen oder nicht, darauf kommt es
nicht an. Alles, was wir im Universum an Bewegung, an Kämpfen
sehen, bei Mineralien, Pflanzen oder Tieren, ist eine Anstrengung,
zum Zentrum zurückzukommen und dabei zu verharren. Es gab ein
Gleichgewicht, das zerstört worden ist, und alle Teile, Atome und
Moleküle kämpfen, um ihr verlorenes Gleichgewicht wiederzuer-
langen. In diesem Bemühen kombinieren sie sich, reformieren sie
sich, und lassen so alle die wundervollen Naturerscheinungen ent-
stehen. Alle Kämpfe und Wettbewerbe im tierischen, pflanzlichen
Leben und sonstwo, alle sozialen Kämpfe und Kriege sind nur Aus-
drücke für diesen ewigen Kampf, zu diesem Gleichgewicht zurück-
zukehren.

Dies Gehen von Tod zu Tod, dieser Übergang ist das, was im
Sanskrit Samsära genannt wird, wörtlich die Geburts- und Todes-
runde. Die ganze Schöpfung, die durch diese Runde hindurchgehen
muß, wird früher oder später frei werden. Man kann die Frage
erheben, warum wir kämpfen sollen, zur Freiheit zu gelangen, wenn
wir doch alle zu ihr gelangen? Wenn jeder auf dem Wege ist frei
zu werden, so wollen wir niedersitzen und warten. Es ist richtig,
daß jedes Wesen früher oder später frei werden wird; niemand
geht verloren. Nichts kann der Vernichtung anheimfallen; alles
muß emporkommen. Wenn dies so ist, worin besteht der Nutzen
unseres Kampfes? An erster Stelle ist der Kampf das einzige Mittel,
das uns zu dem Zentrum bringt, und zweitens wissen wir nicht,
warum wir kämpfen. Wir müssen es. „Von tausend Menschen sind
einige zu der Vorstellung erwacht, daß sie frei werden / 4 Die großen
Massen der Menschen sind zufrieden mit materiellen Dingen, aber
es gibt einige, die erwachen und zurückkehren wollen, die von die-
sem Spiel hier unten genug haben. Diese kämpfen mit Bewußtsein,
während die übrigen es nur unbewußt tun.

Das Alpha und Omega der Philosophie des Vedanta ist, „die
Welt aufzugeben“, das Unwirkliche aufzugeben und das Wirkliche
zu ergreifen. Diejenigen, die in diese Welt verliebt sind, mögen
fragen: „Warum sollen wir versuchen herauszukommen, um zum
Zentrum zurückzukehren ?“ Angenommen, wir sind alle von Gott
gekommen, aber wir finden, diese Welt ist angenehm und hübsch;
warum sollen wir dann nicht lieber versuchen, mehr und mehr von
dieser Welt zu erhalten?

Warum sollten wir versuchen hinauszukommen? Sie sagen, be-
trachte die wunderbaren Verbesserungen, die jeden Tag in der Welt
auf tauchen; welcher Luxus ist zu diesem Zweck geschaffen worden?
Das ist sehr erfreulich; warum sollten wir Weggehen und um etwas
anderes ringen? Die Antwort lautet, daß die Welt unweigerlich
zu Grunde geht, daß sie in Stücke zerbricht und daß wir oftmals
die gleichen Freuden genossen haben. Alle die Formen, die wir
jetzt sehen, sind wieder und wieder verwirklicht worden, und die
Welt, in der wir leben, hat lange Zeit früher hier bestanden. Ich
bin lange Zeit früher hier gewesen und habe zu Ihnen gesprochen.
Sie werden einsehen, daß dies so sein muß, und die gleichen Worte,
denen Sie jetzt gelauscht haben, haben Sie lange Zeit vorher ge-
hört. Und noch oftmals wird dies der Fall sein. Die Seelen waren
nie verschieden, die Körper sind beständig aufgelöst worden und
wieder zurückgekommen. Zweitens kehren diese Dinge periodisch
wieder. Angenommen, es seien hier drei oder vier Würfel, und
wenn wir damit würfeln, kommt einmal fünf heraus, ein andermal
vier, ein drittes Mal drei, ein viertes Mal zwei. Wenn Sie mit dem
Würfeln fortfahren, müssen Zeiten kommen, wo genau die gleichen
Nummern wiederkehren. Beim Weiterwerfen und ohne den Zeit-
zwischenraum zu berücksichtigen, müssen diese Nummern wieder-
erscheinen. Man kann nicht versichern, nach wieviel Würfen sie
wieder auftreten; das ist das Gesetz der Wahrscheinlichkeit. So
steht es mit den Seelen und ihren Verbindungen. Wieweit die Perio-
den auseinanderstehen mögen, die nämlichen Kombinationen und
Auflösungen werden wieder und wieder auftreten. Die gleiche Ge-
burt, das Essen und Trinken, und dann der Tod kommen immer
wieder. Einige finden nie etwas Höheres als die Freuden der Welt,
doch diejenigen, die sich höher zu erheben wünschen, finden, daß
diese Freuden nie endgültig sind, sie sind nur beiläufig.

Wir wollen also festhalten, daß jede Form, angefangen mit dem
winzigen Wurm und endend mit dem Menschen, einem der Wagen
des Chicagoer Riesenrades gleicht, das sich fortwährend bewegt,
während die Insassen wechseln. Ein Mensch besteigt einen Wagen,
bewegt sich mit dem Rade und steigt wieder aus. Das Rad geht
immer weiter. Eine Seele tritt in eine Form ein, bleibt für einige
Zeit darin, verläßt sie wieder, geht in eine andere ein und verläßt
diese wieder zu Gunsten einer dritten. So geht der Kreislauf weiter,
bis sie aus dem Rade herauskommt und frei wird.

Zu jeder Zeit und in jedem Landstrich sind erstaunliche Bega-
bungen bekannt geworden, die Vergangenheit und die Zukunft im
Leben eines Menschen zu lesen. Die Erklärung dafür ist, daß so-
lange der Atman im Bereiche der Kausalität weilt, (obgleich die ihm
inhärente Freiheit nicht gänzlich verloren ist und sich sogar soweit
selber bejahen kann, daß er die Seele der Kausalkette entzieht, wie
in den Fällen, wo Menschen frei werden), seine Handlungen vom
Kausalgesetz stark beeinflußt werden, und dies macht es einigen
Menschen, die die Einsicht besitzen, die Folgen der Wirkungen zu
erkennen, möglich, die Vergangenheit und die Zukunft zu lesen.

Es ist ein sicheres Zeichen dafür, daß Unvollkommenheit herrscht,
solange noch ein Verlangen oder ein Wunsch besteht. Ein voll-
kommenes, freies Wesen kann keinen Wunsch haben. Gott kann sich
nichts wünschen. Wenn er Wünsche hegt, kann er nicht Gott sein,
er wird unvollkommen sein. So ist all das Gerede von Gott, daß er
dieses und jenes wünscht, daß er bald böse, bald zufrieden ist,
Kindergeschwätz ohne rechten Sinn. Daher ist von allen Lehrern ge-
lehrt worden: „Verlange nichts, gib alle Wünsche auf und sei voll-
kommen zufrieden/'

Ein Kind kommt zappelnd und zahnlos zur Welt und der altge-
wordene Mensch geht zahnlos und zappelnd aus ihr heraus. Die
Extreme sind sich gleich, aber das Kind hat keine Erfahrung von der
Welt, die vor ihm liegt, während der Greis durch dies alles hindurch-
gegangen ist. Wenn die Schwingungen des Äthers sehr langsam
sind, sehen wir kein Licht, es herrscht Dunkelheit; wenn seine
Schwingungszahl sehr hoch ist, ist das Ergebnis gleichfalls Dunkel-
heit. Allgemein scheinen die Extreme dasselbe zu sein, obgleich das
eine vom andern durch Polweite entfernt ist. Die Mauer hat keine
Wünsche, auch der vollkommene Mensch hat deren nicht. Aber die
Mauer ist nicht empfindsam genug, um Wünsche zu haben, während
es für den vollkommenen Menschen nichts zu wünschen gibt. Es
gibt Idioten, die auf dieser Welt nach nichts Verlangen tragen, weil
ihr Gehirn unvollkommen ist. Zugleich ist der höchste Zustand der,
wenn wir keine Wünsche mehr haben, aber beides sind entgegen-
gesetzte Pole der gleichen Existenz. Der eine steht dem Tiere, der
andere Gott nahe.

Marsianer
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Re: Wohin zielt das Brahman-Konzept?

Beitragvon Marsianer » Sa 8. Jul 2023, 20:38

Ich finde die wohl relativ Sinn ergebende Herleitung in diesen zwei Kapiteln recht interessant, auch weil sie zeigt, auf welche Folgerungen diese Ansichten eventuell tatsächlich zurückgehen.
Swami Vivekananda, Jnana Yoga hat geschrieben:Ein vollkommenes, freies Wesen kann keinen Wunsch haben. Gott kann sich nichts wünschen. Wenn er Wünsche hegt, kann er nicht Gott sein, er wird unvollkommen sein.

Ist das so? Oder liegt dieser Folgerung z.B. ein Unverständnis von Seligkeit zugrunde, aus der heraus, mit der im Einklang durchaus soetwas wie Wünsche entstehen könnten? Oder was würde dem für eine Idee von "Freiheit" und "Vollkommenheit" zugrundelegen, zumal dieses Weltbild ja offenbar auch davon ausgeht alles was ist sei durch Gott entstanden? Dann offenbar ohne dessen Absicht, Plan, Wunsch? Oder wie?

Marsianer
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Re: Wohin zielt das Brahman-Konzept?

Beitragvon Marsianer » So 9. Jul 2023, 13:13

Swami Vivekananda, Jnana Yoga, deutsche Übersetzung von 1923, S. 193-197 hat geschrieben:Die Leinwand, auf die der Projektions-
apparat das Bild entwirft, ist im Verhältnis zu den Lichtstrahlen un-
bewegt; sonst entsteht kein Bild. Das heißt also, der Wahrnehmende
muß ein Individuum, ein Unteilbares, sein. Dies Etwas, worauf der
Geist alle die Bilder malt, dies Etwas, worauf unsere Empfindungen,
nachdem sie durch den Geist und das Bewußtsein geleitet wurden,
festgelegt, geordnet und zur Einheit geformt werden, ist die soge-
nannte Seele des Menschen.

Wir haben gesehen, daß der universelle kosmische Geist sich in
den akasa und den prana zerlegt, und hinter dem Geiste haben wir
die Seele in uns gefunden. Hinter dem universellen Geist im Uni-
versum gibt es eine Seele, die Gott heißt. Im Individuum ist es die
menschliche Seele. Wie im Universum, im Kosmos der universale Geist
sich zur akasa und prana entfaltet, so können wir finden, daß die univer-
sale Seele als Geist entfaltet wird. Verhält es sich beim individuellen
Menschen wirklich so? Ist sein Geist der Schöpfer seines Körpers,
und seine Seele der Schöpfer seines Geistes? Das will sagen, sind sein
Körper, sein Geist und seine Seele drei verschiedene Existenzen, oder
sind sie drei in einerundderselben Existenz, oder aber sind sie ver-
schiedene Existenzzustände des gleichen einheitlichen Wesens? Wir
werden versuchen, stufenweise auf diese Frage eine Antwort zu fin-
den. Der erste Schritt, den wir jetzt gewonnen haben, ist dieser: wir
haben den äußeren Körper; hinter diesem äußeren Körper liegen die
Organe, der Geist, der Intellekt, und dahinter befindet sich die Seele.
Beim ersten Schritt haben wir gleichsam gefunden, daß die Seele vom
Körper getrennt ist, daß sie sogar vom Geiste getrennt ist. An die-
sem Punkte haben sich die Ansichten in der religiösen Welt vielfach
geschieden, und ihr Ausgangspunkt ist der folgende : Alle religiösen
Ansichten, die gewöhnlich unter dem Namen Dualismus umgehen,
halten daran fest, daß diese Seele qualifiziert ist; daß sie verschie-
dene Eigenschaften besitzt; daß alle Gefühle der Freude, der Lust
und des Schmerzes wirklich zu der Seele gehören. Die Nichtdualisten
stellen es in Abrede, daß die Seele derartige Eigenschaften habe; sie
sagen, sie sei unqualifiziert.

Wir wollen uns zuerst mit den Dualisten beschäftigen, und ich will
versuchen, Ihnen ihre Stellung gegenüber der Seele und ihrem
Schicksal darzustellen; dann werden wir das System ins Auge fassen,
das ihnen widerspricht; und schließlich wollen wir versuchen, den
Ausgleich zu finden, den der Nichtdualismus uns bringen wird. Weil
die menschliche Seele vom Geiste und vom Körper getrennt ist, weil
sie nicht aus akasa und prana zusammengesetzt ist, muß sie unsterb-
lich sein. Warum? Was verstehen wir unter Sterblichkeit? Auf-
lösung in Teile, und das ist nur möglich für Dinge, die das Ergeb-
nis einer Zusammensetzung sind; etwas, das aus zwei oder drei
Bestandteilen gemacht ist, muß in Teile aufgelöst werden; nur das,
das nicht das Resultat einer Zusammensetzung ist, kann nie in Teile
aufgelöst werden und kann daher nie sterben. Es ist unsterblich.
Es hat durch die Ewigkeit hin existiert; es ist ungeschaffen. Jeder
Gegenstand der Schöpfung ist einfach eine Zusammensetzung; nie-
mand hat jemals eine Schöpfung aus dem Nichts entstehen sehen.
Alles an Schöpfung, das wir kennen, ist die Zusammensetzung bereits
vorhandener Dinge in neue Formen. Wenn dies so ist, so muß die
menschliche Seele, die einfach ist, für immer existiert haben und
wird immer existieren. Wenn der Körper zerfällt, lebt die Seele
weiter. Nach der Ansicht der Vedantisten kehren, wenn der Körper
sich auflöst, die Lebenskräfte des Menschen zu seinem Geiste zu-
rück, und der Geist wird gleichsam in der prana aufgelöst, und die-
ser prana tritt in die Seele des Menschen ein ; die menschliche Seele
wird gleichsam mit dem bekleidet, was Sie den feinen Körper nennen,
oder mit dem Geistkörper, dem spirituellen Körper, wenn Sie lieber
so wollen. In diesem Körper befinden sich die samskaras des Men-
schen. Was sind die samskaras? Der Geist gleicht einem See, und
jeder Gedanke ist wie eine Welle auf diesem See. Gerade wie sich in
dem See Wellen erheben und dann wieder fallen und verschwinden,
so steigen fortdauernd diese Gedankenwellen im Geiststoff auf und
verschwinden dann wieder, aber sie verschwinden nicht auf ewig.
Sie werden feiner und feiner, aber sie sind alle da und bereit, zu
anderer Zeit wieder zum Vorschein zu kommen, wenn sie dazu auf-
gerufen werden. Gedächtnis ist einfach das Wiederhervorrufen eini-
ger dieser Gedanken, die in diesen feineren Existenzzustand einge-
treten sind, in die Wellenform. So ist jeder Gedanke, den wir ge-
dacht haben, jede Handlung, die wir ausgeführt haben, im Geiste
auf bewahrt; alles ist in der feinen Form vorhanden, und wenn ein
Mensch stirbt, ist die Gesamtsumme dieser Eindrücke im Geiste,
der wieder etwas feines Material als Vermittler daraus herstellt. Die
mit diesen Eindrücken und dem feinen Körper gleichsam bekleidete
Seele tritt aus dem Leben heraus, und das Schicksal der Seele ist
von dem Ergebnis all der verschiedenen Kräfte abhängig, die durch
die verschiedenen Eindrücke gebildet werden.

[...]

So sehen wir also, daß diejenigen, die nahezu die Vollkommenheit
erreicht haben, in denen nur noch wenig Unreinheit verbleibt, durch
die Sonnenstrahlen nach Brahmaloka gehen, daß die, die zu der
Mittelsorte der Menschen gehören, die hier einiges Gute verrichten,
in der Hoffnung, in den Himmel zu kommen, in die Himmel der
Lunarsphäre gelangen und dort Göttergestalten annehmen; doch sie
müssen wieder zu Menschen werden und haben so eine Aussicht
mehr vollkommen zu werden. Die, die wirklich böse sind, werden
zu Geistern und Dämonen und dann können sie Tiere werden; hier-
nach werden sie wieder Menschen und erhalten eine neue Möglich-
keit, sich selber zu vervollkommnen. Diese unsere Sphäre heißt
karma-bhumi, die Sphäre des Karma. Hier allein gestalten die Men-
schen ihr gutes oder schlechtes Karma. Wenn ein Mensch in den
Himmel zu kommen wünscht und zu diesem Zwecke gute Werke tut,
wird er zu einem Gott und als solcher speichert er kein schlechtes
Karma auf; er genießt aber die Wirkungen der guten Taten, die er
auf Erden tat, und wenn dies gute Karma aufgebraucht ist, senkt
sich auf ihn die resultierende Kraft allen bösen Karmas, das er früher
im Leben aufgespeichert hat, und dies bringt ihn zur Erde zurück.
Auf die nämliche Weise bleiben diejenigen, die zu Geistern werden,
in diesem Zustande, weil sie kein neues Karma entwickeln, sondern
sie leiden unter den schlimmen Folgen ihrer vergangener Mißetaten,
und später verbleiben sie eine Zeitlang in einem tierischen Körper,
ohne ein neues Karma hervorzubringen. Wenn diese Periode zu
Ende ist, werden auch diese wieder zu Menschen. Die Zustände der
Belohnung und Bestrafung, die dem guten und bösen Karma zu ver-
danken sind, sind nicht imstande frische Karmas zu vollbringen;
diese Zustände können nur genossen oder erduldet werden. Wenn
es sich um einen außergewöhnlich guten oder bösen Karma handelt,
so trägt er sehr bald Früchte. Wenn ein Mensch z. B. sein ganzes
Leben lang manche Übel begangen hat, dann aber eine gute Tat
begeht, so wird das Ergebnis dieser guten Tat unmittelbar zu Tage
treten, wenn aber dies Ergebnis sich gezeigt hat, müssen auch alle
bösen Taten ihre Ergebnisse zeitigen. Alle die Menschen, die gewisse
gute und große Leistungen vollbringen, bei denen aber der allge-
meine Wesensgehalt des Lebens nicht vollgültig ist, werden zu Göt-
tern werden, und, nachdem sie gewisse Zeit in Göttergestalten gelebt
und sich göttlicher Kräfte erfreut haben, werden sie wieder zu Men-
schen werden; wenn so die Kraft der göttlichen Taten zu Ende ist,
wird das alte Übel sich wieder auswirken. Diejenigen, die außer-
ordentliche Missetaten begehen, müssen Geister- und Teufelsgestalten
annehmen, und, wenn die Wirkung dieser bösen Taten erschöpft ist,
läßt sie die geringe gute Leistung, die zurückbleibt, im Verein mit
jenen, wieder zu Menschen werden. Der Weg nach Brahmaloka, wo
es keinen Rückfall, keine Rückkehr mehr gibt, heißt Devayäna d. h.
der Weg zu Gott; der Weg zum Himmel ist bekannt als Pitriyäna,
d. h. der Weg zu den Vätern.

Nach der Philosophie des Vedanta ist der Mensch daher das größte
Wesen, das es im Universum gibt, und diese Welt der Arbeit ist der
beste Platz darin, weil er nur hier die beste und größte Aussicht hat,
vollkommen zu werden. Engel oder Götter, wie Sie sie nennen
mögen, müssen alle Menschen werden, wenn sie vollkommen werden
wollen. Das menschliche Leben ist der große Mittelpunkt, die wun-
dervolle Schwebe des Gleichgewichtes und die wundervolle Ge-
legenheit.

Goldmädchen
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Re: Wohin zielt das Brahman-Konzept?

Beitragvon Goldmädchen » Sa 15. Jul 2023, 13:17

Marsianer hat geschrieben:Es lohnt sich hier wohl das ganze Buchkapitel zu zitieren.
Swami Vivekananda, Jnana Yoga, deutsche Übersetzung von 1923, S. 168-181 hat geschrieben:DER ATMAN


Manche von Ihnen haben Prof. Max Müllers berühmtes Buch:
Drei Vorlesungen über die Vedantaphilosophie gelesen und einige
haben vielleicht Prof. Paul Deussens Buch über diese Philo-
sophie (Das System des Vedanta, Leipzig. 1883, 2. A. 1906) kennen
gelernt. In allem, was im Westen über den religiösen Gedanken in
Indien geschrieben und gedacht worden ist, wird hauptsächlich eine
Schule des indischen Denkens dargestellt, die Advaitismus heißt, die
monistische Richtung der indischen Religion;

Die erste Schule, über die ich sprechen will, wird die dualistische
Schule benannt. Die Dualisten glauben, daß Gott, der der Schöpfer
und Regierer des Alls ist, ewig von der Natur geschieden bleibt,
daß er ewig getrennt ist von der menschlichen Seele. Gott ist
ewig: die Natur ist ewig: alle Seelen sind ewig. Die Natur und die
Seelen werden manifestiert und verändern sich, aber Gott bleibt der
gleiche. Nach Ansicht der Dualisten ist dagegen dieser Gott persön-
lich, dadurch daß er Eigenschaften hat, nicht, daß er einen Körper
besäße. Er hat menschliche Eigenschaften, Attribute; er ist barm-
herzig, er ist gerecht, er ist mächtig, er ist allmächtig, man kann sich
ihm nähern, man kann zu ihm beten, man kann ihn lieben, er liebt
wieder u. s. f. Mit einem Worte, er ist ein menschlicher Gott, nur
unendlich größer als der Mensch; er hat keine der bösen Eigen-
schaften, die der Mensch hat. „Er ist die Sammelstätte einer unbe-
grenzten Anzahl heiliger Eigenschaften / 4 so lautet ihre Definition.
Er kann nicht ohne Material erschaffen, und die Natur ist das Ma-
terial, aus dem er das gesamte Universum erschafft. (..)
Die breite Masse des indischen
Volkes ist dem Dualismus zugetan. Gemeinhin kann die menschliche
Natur etwas Höheres nicht begreifen. Wir finden, daß neunzig Pro-
zent der Erdbevölkerung, die eine Religion besitzen, Dualisten
sind. Alle Religionen Europas und Westasiens sind dualistisch; sie
müssen es sein. Der gemeine Mann kann sich nichts denken, das
nicht konkret ist. Er zieht es natürlich vor, sich mit dem zu befassen,
was sein Verstand begreifen kann. Das heißt also, er kann höhere
spirituelle Vorstellungen nur dann fassen, wenn man sie seinem
eigenen Niveau anpaßt. Er kann abstrakte Vorstellungen nur so ver-
stehen, daß man sie konkret gestaltet. Das ist die Religion der
breiten Menge auf der ganzen Welt. Sie glauben an einen Gott, der
gänzlich von ihnen getrennt ist, an einen großen König, einen hohen,
mächtigen Monarchen gleichsam. Gleichzeitig machen sie ihn geisti-
ger, reiner, als die irdischen Monarchen zu sein pflegen; sie ver-
leihen ihm alle guten Eigenschaften und halten alle schlechten
Eigenschaften von ihm fern. Als ob es überhaupt möglich wäre,
daß das Gute ohne Böses bestehen könnte; als wenn es einen Be-
griff vom Lichte geben könnte ohne einen Begriff der Finsternis.

Bei allen dualistischen Theorien besteht die Schwierigkeit zunächst
darin, wie es möglich sein soll, daß unter der Herrschaft eines ge-
rechten und gnädigen Gottes, des Sammelbeckens für eine unend-
liche Anzahl von guten Eigenschaften, so zahlreiche Übel in der
Welt existieren? Diese Frage trat in allen dualistischen Religionen
auf, aber die Hindus haben niemals einen Teufel als Antwort hier-
auf erfunden. In völliger Übereinstimmung schoben die Hindus dem
Menschen die Schuld daran zu, und das fiel ihnen leicht. Warum?
Weil, wie ich Ihnen soeben gesagt habe, sie nicht dem Glauben
anhingen, daß die Seelen aus nichts geschaffen seien. (..)Wenn
es wahr ist, daß wir hier in dieser kurzen Spanne Zeit unser eigenes
Geschick auswirken, wenn es wahr ist, daß jedes Ding eine Ursache
haben muß, wie wir es jetzt sehen, so muß es auch wahr sein, daß
das, was wir jetzt sind, die Wirkung unserer ganzen Vergangenheit
ist; deshalb ist niemand anderer dazu nötig, um das Geschick der
Menschen zu gestalten als der Mensch selber. Die Übel in der Welt
sind durch niemand sonst verursacht als durch uns selber. Wir
haben alle diese Übel verursacht; und geradeso, wie wir be-
ständig aus bösen Taten Unglück hervorgehen sehen, so können
wir auch sehen, daß viel von dem in der Welt existierenden Elend
das Ergebnis der früheren Schlechtigkeit des Menschen ist. Daher
ist auf Grund dieser Theorie der Mensch allein verantwortlich; Gott
verdient keinen Vorwurf; er, der ewig barmherzige Vater ist durch-
aus tadelfrei. „Wir ernten, was wir säen.“

(..)

(..)Die vollendete
Seele kann auf ihren Wunsch irgendeine Form annehmen; sie ver-
mag auf ihren Wunsch hundert Körpergestalten annehmen, oder
auch keine, je nach ihrem Wunsch. Sie wird schier allmächtig, aus-
genommen, daß sie nicht schöpferisch wird; diese Macht steht allein
Gott zu. So vollkommen etwas sein mag, nichts kann die Obliegen-
heiten des Universums übernehmen; diese Funktion gehört Gott an.
Alle Seelen aber werden, wenn sie vollkommen werden, für immer
glücklich und leben ewig mit Gott. Das ist der dualistische Stand-
punkt.
(..)

Die eigentliche Vedantaphilosophie beginnt mit den sog. gemilder-
ten Nichtdualisten. Sie treffen die Festsetzung, daß die Wirkung
von der Ursache niemals verschieden ist; die Wirkung ist nur die Ur-
sache in einer andern Form dargestellt. Wenn das Universum die
Wirkung und Gott die Ursache ist, so muß es Gott selbst sein —
etwas anderes ist ausgeschlossen. Sie gehen von der Behauptung
aus, daß Gott sowohl die bewirkende wie die materiale Ursache
des Universums ist; daß er selber der Schöpfer und zugleich das
Material ist, aus dem das gesamte Naturgeschehen hinausprojiziert
ist. Für das Wort Schöpfung gibt es im Sanskrit kein Äquivalent,
weil es keine Sekte in Indien gibt, die an eine Schöpfung glaubt, wie
sie im Westen vorgestellt wird, nämlich als etwas, das aus nichts
wird, aus nichts gestaltet wird. (..)

Wenn die Wirkung die Wiederholung der Ursache ist, so lautet die
Frage : „Wie ist es denkbar, daß dies materielle, geistlose, unintelli-
gente Universum von einem Gotte hervorgebracht ist, der nicht ma-
teriell, sondern der ewige Intelligenz ist? Wie ist es möglich, daß,
wenn die Ursache rein und vollkommen ist, die Wirkung ganz ver-
schieden davon ist. Was sagen die gemilderten Nichtdualisten dazu?
Sie haben eine ganz eigentümliche Theorie. Sie sagen, daß diese drei
Existenzen, Gott, Natur und Seele, eines sind. Gott ist gleichsam
die Seele, und Natur und Seelen sind der Körper Gottes. Gerade wie
ich eine Seele und einen Körper habe, so sind das gesamte Universum
und alle Seelen der Körper Gottes und Gott ist die Seele der Seelen.
So ist also Gott die materiale Ursache des Universums. (..)

Beide, sowohl die Dualisten wie die gemilderten Nichtdualisten,
geben zu, daß die Seele durch ihre Natur rein ist, aber sie wird durch
ihr eigenes Tun unrein. Die gemilderten Nichtdualisten sprechen
dies schöner aus als die Dualisten, indem sie sagen, daß der Seele,
Reinheit und Vollkommenheit zusammengezogen und wieder mani-
festiert wird, und was wir jetzt zu tun suchen nichts ist als daß
Wiedermanifestieren der Intelligenz, der Reinheit, der Kraft, was der
Seele natürlich ist.(..)
Wir kommen jetzt zum Advaitismus, der letzten und nach unserer
Meinung höchsten Blüte der Philosophie und Religion, die irgend-
ein Land zu irgendeiner Zeit hervorgebracht hat, wo das menschliche
Denken seinen höchsten Ausdruck erreicht und geradezu den Schleier
des Mysteriums lüftet, das undurchdringlich zu sein scheint. Dies
ist der nichtdualistische Vedantismus.
(..)

Was erklärt der Advaitist? Er sagt, wenn es einen Gott gibt, so
muß dieser Gott die materiale und die bewirkende Ursache des Uni-
versums sein. Er ist nicht allein der Schöpfer, er ist auch der Ge-
schaffene. Er selber ist das Universum. (.. )


(..) Er entthront alle Götter,
die in diesem Universum je existiert haben oder je existieren werden
und setzt das Selbst des Menschen auf den Thron, den Atman, der
höher ist als Sonne und Mond, höher als die Himmel, größer als das
große Universum selber. Kein Buch, keine Schrift, keine Wissen-
schaft kann den Ruhm des Selbst, das als Mensch in die Erscheinung
tritt, als der ruhmreichste Gott, der je war, der einzige Gott, der
je existierte und existieren wird, aussinnen. Darum brauche ich nie-
mand zu verehren als mein Selbst. „Ich verehre mein Selbst!“ sagt
der Advaitist.
)
(..)So vollendet der Mensch nach dem vergeblichen Versuche,
allerlei Götter außerhalb seiner selbst zu finden, den Kreislauf und
kommt zu dem Punkte zurück, von dem er ausgegangen war, — von
der menschlichen Seele, und er findet, daß der Gott, den er in der
Höhe und der Tiefe, in jedem Bache, in jedem Tempel, in Kirchen
und Himmeln suchte, — daß dieser Gott, den er sich stets als im
Himmel sitzend und die Welt lenkend vorgestellt hat, sein eigenes
Selbst ist. Ich bin Er, und Er ist ich. Niemand als ich war Gott,
und das kleine, empirische Ich existierte niemals.

(..)Sobald die Wahrheit erblickt
wird, kann es keine Illusion mehr geben. Illusion beruht stets auf
Illusion; sie beruht nicht auf Gott, auf der Wahrheit, auf dem
Atman. Sie befinden sich nie in der Illusion; die Illusion ist in
Ihnen, vor Ihren Augen. (..)

„Wisse die Wahrheit und sei frei im Augenblick.“ Alle Finsternis
wird dann schwinden. Wenn man sich selber als eins mit dem un-
endlichen Wesen des Universums erkannt hat, wenn alle Geschieden-
heit aufgehört hat, wenn alle Männer und Frauen, alle Götter und
Engel, alle Tiere und Pflanzen und das ganze All sich in diese Ein-
heit aufgelöst hat, dann weicht alle Angst. Kann ich mir selber
Schaden zufügen? Kann ich mich selber töten? Kann ich mich sel-
ber beleidigen? Wen soll ich fürchten? Können Sie sich selber
fürchten? Aller Kummer wird schwinden? Was kann mir Kummer
verursachen? Ich bin die eine Existenz des Alls. (..9
„Der, der in der Welt des Mannigfaltigen
das Eine sieht; der, der in der Menge des Fühllosen das einzig füh-
lende Wesen erblickt; der, welcher in dieser Schattenwelt das Wirk-
liche ergreift, dem wird ewiger Friede zuteil, niemand sonst, nie-
mand sonst.“

(..) Für den Menschen, der sich selber in
Schleier hüllt, was die Welt Bosheit und Übel nennt, ändert sich dies
ganze Universum und wird zu einem entsetzlichen Schauplatz; für
einen anderen, der Vergnügen wünscht, wird das ganze Universum
sein Aussehen verändern und zu einem Himmel werden, und für
den vollkommenen Menschen wird das Ganze verschwinden und zu
seinem eigenen Selbst werden.


Englische Fassung: https://en.wikisource.org/wiki/The_Complete_Works_of_Swami_Vivekananda/Volume_2/Jnana-Yoga/The_Atman


Hallo und ein großes danke Marsianer, dass du dieses Kapiel aus diesem Buch übersetzt und hier abgetippt hattest.
Sonst hätte ich das nie lesen können, ich hätte es nicht übersetzen können.
Ich habe alle für mich schönsten und mit meinem Erkennen in Übereinstimmung seienden Stellen, ( also beides zugleich ) mal zitiert.
: )

Und die Stellen, die für mich die Unterschiede der verschiedenen Lehren Indiens und zu anderen Religionen gut erklären.

Die Antwort zu der Frage " Wohin zielt das Brahman Konzept " wurde in dem Kapitel beantwortet.

Dieses Konzept zielt zu dem Erkennen, dass jeder selbst Gott ist. Alles Gott ist, alles Brahman ist.
Wir sind seine Projektionen. Ein böser Mensch würde aber Brahman nicht gut reflektieren, schlechter Reflektor sein, die reinen Menschen,
würden Das Selbst / Brahman / Atman, wie es wirklich ist reflektieren können.
Das hat wohl mit den Schleiern/ der Verblendung / Dem Unwissen zu tun. Die Einen haben viele, die Anderen wenige, Wenige gar keine mehr.

Marsianer
Beiträge: 3582
Registriert: Sa 3. Okt 2015, 11:42

Re: Wohin zielt das Brahman-Konzept?

Beitragvon Marsianer » Sa 15. Jul 2023, 14:15

Goldmädchen hat geschrieben:dass du dieses Kapiel aus diesem Buch übersetzt und hier abgetippt hattest.

In diesem Fall fand ich einfach eine deutsche Übersetzung des Buchs als Datei im Internet und kopierte daraus (daher auch die Anmerkung "deutsche Übersetzung von 1923").
Dieses Konzept zielt zu dem Erkennen, dass jeder selbst Gott ist. Alles Gott ist, alles Brahman ist.
Wir sind seine Projektionen. Ein böser Mensch würde aber Brahman nicht gut reflektieren, schlechter Reflektor sein, die reinen Menschen

Aha, dem würde ich so auch nicht unbedingt widersprechen, allerdings wäre die Frage, was denn unter "Projektion" da verstanden und wie dies jeweils eingeordnet würde. Z.B. etwas, wo eine Kraft etwas mit dem Menschen macht, dessen Individualität "überstrahlt"? Oder etwas, wo der Mensch mehr "Selbst" wird, freier, lebendiger, vielleicht sanfter darin? Würde sich das innerste Wollen des Menschen reinigen, durchlichten oder würde es "beseitigt" um eben von soeiner "anderen" Kraft "überstrahlt" zu werden? Sich zu erleben als Teil eines Meeres, dann mal als Tropfen deutet für mich schon eher darauf hin, daß von einem "Anstrahlungsgeflecht" her "überstrahlt" wird, nicht innerlich in der Seele sich das Wollen wandelt.

Goldmädchen
Beiträge: 929
Registriert: So 16. Aug 2020, 13:59

Re: Wohin zielt das Brahman-Konzept?

Beitragvon Goldmädchen » Sa 15. Jul 2023, 14:27

Marsianer hat geschrieben:
Swami Vivekananda, Jnana Yoga, deutsche Übersetzung von 1923, S. 182-189 hat geschrieben:DER ATMAN:

SEINE FESSEL UND FREIHEIT


Gemäß der Advaitaphilosophie gibt es nur ein wirkliches Ding im
Universum, das Brahman heißt; jedes andere Ding ist unwirklich,
durch die Macht der Maya aus dem Brahman manifestiert und her-
gestellt. (...) Zugleich ist der höchste Zustand der,
wenn wir keine Wünsche mehr haben, aber beides sind entgegen-
gesetzte Pole der gleichen Existenz. Der eine steht dem Tiere, der
andere Gott nahe.


Das war ja ein kluger, wegweisender Lehrer der Swami Vivekananda.
Ich danke wieder einmal vielmals für das Teilen hier Marsianer.
Kannst du mit dieser Lehre etwas anfangen ?
: )
Sagt sie dir zu ?

Werde es mir irgendwann nochmal durchlesen.


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