Human Design und Wissenschaftlichkeit – Kritik an der Methodik
Über die Kombination aus Human Design und Wissenschaft und meine Kritik an der Methodik:
Bitte beachte: Dieser Beitrag ist gewollt etwas kritischer als meine bisherigen Beiträge, da ich das Human Design hier aus dem nüchternen Blickwinkel einer an Astrologie interessierten Wissenschaftlerin betrachte (also vielleicht nur teilweise nüchtern :D). Welchen Wert ich persönlich im Human Design System sehe, folgt dann anschließend weiter unten.
Human Design und Wissenschaft?
Wie kommt man überhaupt darauf, das Human Design mit Wissenschaft zu verbinden?
Das Human Design scheint an einigen Stellen erstaunliche Parallelen zu wissenschaftlichen Erkenntnissen zu haben (z.B. die 64 Tore und die 64 Codons im menschlichen Genom, Erkenntnisse aus der Neutrinoforschung, etc.) und ist noch dazu ein komplex, in sich logisches System, dass es manchmal als „wissenschaftlich“ bezeichnet wird. Das halte ich jedoch für sehr gefährlich, denn es gibt einige grundlegende Unterschiede zwischen dem Human Design und moderner Wissenschaft.
Verstehe mich nicht falsch, ich persönlich finde das Human Design sehr spannend und die erste Analyse meines Charts hat mir damals echt die Augen geöffnet, aber trotzdem gibt es aus meiner Sicht als Wissenschaftlerin ein paar gravierende Kritikpunkte am Human Design System und dem Bezug zur „Wissenschaftlichkeit“. Das liegt vor allem an den unterschiedlichen Vorgehensweisen zur Erkenntnisgewinung – der Methodik.
In diesem Beitrag möchte ich dir zuerst einige scheinbare Parallelen zwischen Human Design und Wissenschaft nennen, bevor ich dir anschließend meine Kritikpunkte nenne. Danach verrate ich dir, worin ich persönlich den Wert von Human Design sehe.
Klingt gut? Dann lass uns loslegen!
Scheinbare Parallelen zwischen Human Design und Wissenschaft:
Liest man im Internet über das Human Design System, findet man immer wieder Beispiele für Parallelen zwischen dem Human Design und den Ergebnissen der modernen Wissenschaft. Aber was ist da dran?
Ich möchte hier zwei Beispiele nennen, in denen die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft tatsächlich ganz nebenbei ein paar Grundideen des Human Design zu belegen scheinen.
Die 64 Hexagramme des I-Ging und das menschliche Genom (Biologie):
Einer der Schlüssel zum Human Design ist die Verwendung des jahrtausendealten, chinesischen Buch der Wandlungen, dem I-Ging. Angeblich lassen sich nun Ähnlichkeiten zwischen dem Aufbau der 64 Hexagramme des I-Gings und dem Aufbau unserer menschlichen DNA finden.
Lass uns einmal beide Systeme miteinander vergleichen.
Unsere DNA besteht aus zwei Strängen von Nukleotiden, wobei der eine Strang das perfekte Gegenstück des anderen ist.
Die „Codesonne“ zeigt, welche Basensequenz welche Aminosäure ergibt. Gemeinfreies Bild von Mouagip unter „Genetischer Code“ auf Wikipedia.
Der genetische Code eines jeden Menschen besteht aus vier DNA-Basen (Adenin & Thymin, Guanin & Cytosin), die in Dreiergruppen zusammengefasst werden. Jede dieser Dreier-Gruppierungen bezieht sich auf eine Aminosäure und bildet ein sogenanntes „Codon„. Es gibt 64 dieser Codons in unserem genetischen Code.
In ähnlicher Weise gibt es im I-Ging vier grundlegende Permutationen von Yin und Yang (bzw. geöffneten und durchgezogenen Linien), die ebenfalls in Dreiergruppen, den so genannten „Trigrammen„, angeordnet sind. So, wie sich die beiden Stränge unserer DNA gegenseitig ergänzen, hat auch jedes Trigramm des I-Ging einen Partner und zusammen bilden diese beiden Symbole ein Hexagramm. So wie es 64 Codons in unserer DNA gibt, gibt es 64 Hexagramme im I-Ging.
Wenn dich die Ähnlichkeit nun begeistert, dann muss ich dich als Wissenschaftlerin leider zurückhalten. Denn ja, eine Ähnlichkeit in der Struktur ist zwar da, aber trotzdem beweist das erstmal nicht viel.
Wenn man vier verschiedene Elemente in Dreiergruppen zusammenfasst, ist 64 allein aus mathematischen Gründen die naheliegendste Zahl an Permutationen (4 hoch 3 = 64). Und nach der Zahlen-Ähnlichkeit des Aufbaus enden die Ähnlichkeiten zwischen menschlichem Genom und Hexagrammen aus wissenschaftlicher Sicht auch fast schon wieder.
Also: Eine nette Ähnlichkeit, die aber alleinstehend definitiv kein Beleg für die wissenschaftliche Fundiertheit des Human Designs ist. Wissenschaft basiert nicht auf Glauben und scheinbaren Ähnlichkeiten, sondern auf falsifizierbaren Theorien und experimentell bestätigten Fakten. Dazu gleich mehr.
Neutrinos, Quanten, Energie und magnetische Monopole (Physik):
Das Human Design baut außerdem auf der Annahme auf, dass uns in jeder Sekunde und durch jeden Quadratzentimeter unseres Körpers ein Strom aus Neutrinos durchdringt.
Zu aller erst: Was sind Neutrinos?
Neutrinos (nicht zu verwechseln mit Neutronen) sind elektrisch neutrale Elementarteilchen (= die kleinsten, bekannten Bausteine der sichtbaren Materie).
Neutrinos sind so ähnlich wie die negativen Elektronen, nur ohne die negative, elektrische Ladung und mit weniger Masse (sie sich viel leichter). Daher kommt übrigens auch der Name: Es ist elektrisch neutral (Neutr-) und es ist sehr leicht: (-ino).
Okay, wie entstehen Neutrinos?
Nach unserem derzeitigen Wissensstand entstanden die ersten Neutrinos bereits in der ersten Sekunde des frühen Universums, noch bevor sich Atome bilden konnten. Aber es gibt nicht nur Urzeit-Neutrinos, denn Neutrinos werden ständig in den Kernreaktionen von Sternen, wie unserer Sonne und Kernreaktionen hier auf der Erde erzeugt.
Eine Wechselwirkung von Neutrinos mit den Protonen, Elektronen und Neutronen, aus denen wir Menschen bestehen, findet dabei vergleichsweise nur sehr selten statt. Deshalb geht ein Strahl von Neutrinos auch durch sehr dicke Objekte, wie z.B. die ganze Erde, relativ einfach und mit keiner oder nur sehr wenig Wechselwirkung hindurch. Entsprechend aufwendig ist auch der Nachweis von Neutrinos in Experimenten.
Im Human Design sind die kosmischen Neutrinos die Informationsträger für unsere individuelle Prägung. Also der Neutrinostrom, der uns zum Zeitpunkt unserer Inkarnation (ca. drei Monate vor der Geburt) und zum Zeitpunkt unserer Geburt durchdrungen hat, beeinflusst laut Human Design, welches Design und welche Persönlichkeit wir haben.
Ist diese Idee aus wissenschaftlicher Sicht valide?
Die kurze Antwort ist „Nein“. Denn ja, wir werden zwar ständig von Neutrinos durchdrungen und bei der schieren Anzahl an Neutrinos besteht vielleicht die Chance der Wechselwirkung, aber es gibt einige andere Dinge, die mit dem bisherigen Kenntnisstand der Naturwissenschaften einfach (noch) überhaupt keinen Sinn machen.
Dazu gehören u. A. die folgenden zwei Gedanken:
• Wie genau soll die seltene Wechselwirkung mit kosmischen Neutrinos gezielt das genetische Material eines ca. 6 Monate alten Fötus beeinflussen? Oder Informationen in ein gerade geborenes Baby übertragen? Neutrinos tragen vergleichsweise sehr wenig Energie und sind nicht besonders reaktionsfreudig…
• Warum sollten Neutrinos, die vorher z.B. den Planeten Jupiter durchdrungen haben, andere Eigenschaften in einem Menschen erzeugen, als die Neutrinos, die vorher z.B. Mars durchdrungen haben? Rein physikalisch lässt sich kein Unterschied zwischen Jupiter-Neutrinos und Mars-Neutrinos feststellen…
• Achja und… globale Magnetische Monopole sind (bisher) ein großes No-No in der Physik
Das Problem ist, dass im Human Design einfach davon ausgegangen wird, dass die Dinge so sind, wie gesagt wird. Es wurden keine Experimente o. Ä. durchgeführt, um die aufgestellten Behauptungen zu unterstützen. Zudem werden angefangenen Ideen (Kosmische Neutrinos beeinflussen Design & Persönlichkeit) nicht nach wissenschaftlicher Logik zu Ende geführt (Wie genau soll das im Rahmen unserer bisherigen Theorien funktionieren?).
Man mag hier argumentieren, dass das ja nicht so wichtig ist, solange das System funktioniert und das bestimmte Dinge vielleicht erst in ein paar Jahren experimentell bestätigt werden können. Das mag sein, aber so lange gehören diese Dinge nicht in den Bereich der Wissenschaft, sondern fallen viel eher in Bereich des persönlichen Glaubens. Aussagen ohne valide Theorien und stichfeste Messergebnisse sind nicht wissenschaftlich!
Kritik am Human Design.
Okay, die beiden Vergleiche zwischen Human Design und Wissenschaft hinken also noch etwas und sprechen ohne weitere Forschung definitiv nicht für einen wissenschaftlichen Beweis der Prinzipien des Human Design.
Mein größter Kritikpunkt hier ist immer wieder die unwissenschaftliche Methodik. Eine Anforderung an alle wissenschaftliche Theorien.
Im ersten Semester lernt wahrscheinlich jeder Student der Naturwissenschaften, dass nur eine falsifizierbare Theorie eine gute Theorie ist. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass jede wissenschaftliche Theorie so aufgestellt sein sollte, dass es Möglichkeiten zur Überprüfung -und vor allem: zur Widerlegung- der Theorie gibt.
Ein Beispiel: Wir stellen die Annahme auf, dass sich alle Stoffe bei Hitze ausdehnen. Diese Theorie ist falsifizierbar, indem wir zeigen, dass sich nicht alle Stoffe bei Hitze ausdehnen. Nun führen wir viele Experimente durch und erhitzen verschiedene Stoffe. Dabei stellen wir fest, dass sich nicht alle Stoffe bei Hitze ausdehnen. Unsere Annahme ist widerlegt. Wir schreiben unsere Ergebnisse auf, veröffentlichen sie (sodass sie jeder auf der Welt nachprüfen kann) und überlegen uns eine neue Theorie. Eine Theorie ist nur so lange gültig, bis sie widerlegt wird. Wissenschaftler irren sich sozusagen „nach vorne“ zu immer universelleren Theorien.
Ein zweites Beispiel: Wir nehmen an, dass Gravitation durch unsichtbare Elfen verursacht wird, die wir Menschen weder sehen, anfassen, riechen oder hören können und die auch nicht mit unseren Messapparaturen wechselwirken. Diese Annahme können wir durch kein Experiment überprüfen. Wir können sie nicht falsifizieren. Wenn wir trotzdem davon überzeugt sind, dass unsichtbare Elfen die Gravitation verursachen, ist das ein persönlicher Glaube.
Die unwissenschaftliche Methodik des Human Design:
Ein ähnliches Problem wie mit den unsichtbaren Elfen sehe ich im Human Design. Die Aussagen sind erstmal einfach so „vom Himmel gefallen“ – und zwar fast wortwörtlich, als Ra Uru Hu das ganze Human Design System von channelte. Es gibt keine echten, wissenschaftlichen Studien dazu, sondern nur persönliche Erfahrungen. Viele Menschen finden, dass das Human Design sehr gute Aussagen über sie und ihre Persönlichkeit trifft, aber es gibt auch Menschen, die das nicht finden.
Ein großes Problem dabei ist der Rückgriff auf Geburtsdatum und der Geburtszeit zur Bestimmung der Wesensmerkmale. (Das gilt nicht nur für das Human Design, sondern generell für viele Zweige der Astrologie.) Naturwissenschaftler kritisieren hier zurecht: „Wie, um aller Welt, soll die Position der weit entfernten Himmelskörper Einfluss auf den Charakter eines Menschen haben?„
Ja, es gibt Neutrinos und ja, wir werden innerhalb unseres Lebens von vielen Neutrinos durchquert, aber die Sache mit den Neutrinos hatten wir ja weiter oben schon einmal besprochen.
Fakt ist, dass die Kräfte, die von so weit entfernten Himmelskörpern auf uns einwirken, schlichtweg super winzig sind. Da hat selbst ein Auto, das in unserer Straße entlang fährt, mehr gravitativen Einfluss auf uns. (Oder die Neutrinos, die in Kernkraftwerken erzeugt werden.)
Der Ausweg aus diesem Dilemma: Man sieht die Position der Himmelskörper nicht als direkte Quelle des Einflusses auf uns Menschen, sondern nur als symbolische Quelle. Wie im Himmel, so auf der Erde. Das kann man machen, aber dann rutscht die Astrologie wieder in den Bereich des persönlichen Glaubens und hat keinen Bezug mehr zur wissenschaftlichen Methodik & Logik.
Es kann natürlich auch immer noch sein, dass die aktuelle Wissenschaft wichtige Zusammenhänge übersieht, die diese Phänomene erklären würde. Ja, wir wissen mittlerweile sogar, dass unser aktuelles Bild über die kleinsten und größten Dinge im Universum noch unvollständig ist, aber das, was wir bisher „wissen“, hat seine Berechtigung und seinen Nutzen, denn es kann -zumindest theoretisch- von JEDEM Menschen und jedem Messgerät überall auf der Welt gemessen, berechnet und bestätigt werden.
Du wärst wahrscheinlich auch nicht zufrieden, wenn dein Arzt vor einer Kopf-Op nur glaubt, dass sich hinten rechts in deinem Kopf unerwünschtes Gewebe befindet. Viel besser wäre es, wenn er ein MRT Bild deines Kopfes gemacht hätte (beruht auf den Prinzipien der Kernspinresonanz = physikalisches Fachwissen) und die OP dann mit seinem medizinischen Fachwissen sauber durchführen würde.
Genauso wärst du wahrscheinlich unzufrieden, wenn ein schlecht gelaunter Polizist nur glauben würde, dass du zu schnell gefahren bist. Eine vernünftige Messung durch einen Blitzer ist neutral und gibt entweder dir oder ihm Recht.
Durch Wissenschaft geschaffenes Wissen wird überall zuverlässig angewendet und das geht nur dank der festgelegten & sauberen Methodik, die dahinter steckt.
Statistisch signifikante Studien:
Während die physikalischen Aspekte der Theorien des Human Design eher schwierig zu überprüfen sind (Neutrino-Forschung etc. ist generell eher aufwändig), wären psychologische Studien wahrscheinlich einfacher durchzuführen.
Was dafür benötigt werden würde, wären randomisierte, kontrollierte Studien, in denen Human Design Reader einer statistisch signifikanten Anzahl an Menschen Readings geben würden. Und zwar müsste es eine Versuchsgruppe geben, die ein richtiges Reading bekommt und eine andere Versuchsgruppe, die ein „falsches“ Reading bekommt (ein „Placebo-Reading“ sozusagen). Eine vorherige Persönlichkeitsanalyse und die Identifikation der Menschen aus beiden Gruppen mit ihrem Reading könnte dann unabhängig voneinander ausgewertet werden.
Die Ergebnisse würden mich so was von interessieren!
Worin der Wert des Human Design meiner Meinung nach liegt:
„Wie kannst du als Wissenschaftlerin eigentlich an Astrologie glauben?„, werde ich manchmal von Kollegen aus der Wissenschaft gefragt.
Und die Antwort ist recht einfach. Ich glaube nicht an Astrologie als wissenschaftliche Wahrheit, sondern nutze Aspekte des Human Design als Werkzeug in der Persönlichkeitsentwicklung. In meinem Kopf sind Wissenschaft und Human Design ganz klar voneinander getrennt. Ich suche nicht nach 100 Prozent Exaktheit des HD-Systems, sondern nutze, was mir gut tut.
Ich habe für mich persönlich erfahren, dass die Aussagen des Human Designs mir helfen, mich und die Menschen in meinem nahen Umfeld besser zu verstehen und so zu akzeptieren, wie ich bin / sie sind. Und das es mir etwas Magie und Zauber ins Leben bringt.
Überall da, wo mir das Human Design bei Dekonditionierung hilft und mein Leben schöner / leichter / interessanter macht, ist es super – auch ohne wissenschaftliche Beweise. Wenn ein System das Leben eines Menschen leichter und schöner macht, ist das für mich eine Existenzberechtigung.
Es steckt so viel Wissen über menschliche Verhaltensmuster und Gedankenprozesse im Human Design, dass ich mehr und mehr fasziniert davon bin, je tiefer ich tauche. Schaut man genau und Typ-übergreifend hin, kann man aus dem Human Design soo viel über Menschen lernen.
Ob ich nun aber tatsächlich MG bin, weil die Himmelskörper zum Zeitpunkt meiner Geburt an entsprechenden Positionen standen und Neutrino-Ströme diese Informationen in meine Gene einprogrammiert haben, bleibt für mich aber auf jeden Fall im Bereich des Magischen und wird nicht mit „richtiger“ Wissenschaft vermischt. (Deshalb findest du auch oft „laut Human Design“ in meinen Texten.