buddha-dhamma.de" hat geschrieben:Aus einer Diskussion mit Paul Debes:
Hörer: Unser Ziel ist ja nicht, immer tugendhafter zu werden, sondern das Ziel ist die Erlösung. Kann man nicht sagen, dass Meditationsübungen und Tugend Anzeichen für die Nähe zur Erlösung oder die Ferne von der Raum– und Zeit– Gebundenheit sind?
Debes: Die rechte Anschauung muss als erstes vorhanden sein. Wer aus christlicher Anschauung Tugend übt, übt Tugend mit einer ganz anderen Grundhaltung, ebenso ein weltlicher Mensch, z.B. ein Stoiker von der philosophischen Richtung der Stoa. Die Stoiker, Schüler des Zenon, setzten seiner Lehre gemäß ihren Stolz in Unempfindlichkeit gegen Schmerz und völlige Gleichmütigkeit gegenüber allen Einwirkungen. Sie sagten, es sei des Menschen unwürdig, sich um einer Kleinigkeit willen aufzuregen, z.B. wenn sie ihr Vermögen verlieren usw. Das ist eine edle, aber eine weltliche Haltung, es ist keine Tugend mit dem Ziel, aus dem ganzen Daseinswandel heraus zu kommen. Darum muss man die Anschauung, die der Erwachte vermittelt, zuerst erwerben. Man muss, um die Tugend oder auch die Vertiefung zur Befreiung benutzen können, die Aussagen des Erwachten lesen, die die Vergänglichkeit und die Nicht-Ichheit der fünf Zusammenhäufungen
http://www.buddha-dhamma.de/5an.htm beschreiben und begründen, damit man den wahrheitgemäßen Anblick gewinnt. Wenn man dann dadurch einen tieferen Anblick hat, in dem man sich freier fühlt, dann versteht man die fünf Zusammenhäufungen tiefer. Dann tritt das ein, was man Klarblick (vipassana) nennt, dann hat man für einen Augenblick fast Unverletzbarkeit erlebt, die Befrei¬ung von allem Vergänglichen. Bei dem auf Befreiung gerichteten Menschen löst das eine Sehnsucht nach endgültiger Befreiung aus.
Und wenn dieser „lichte Moment" endet, dann merkt er: „Jetzt bin ich wieder in allen Verstrickungen. Wenn ich doch herauskäme!" Wenn er dann wieder die Aussagen des Erwachten hört oder liest, wird ihm bewusst, dass die üblen Gesinnungen, aus denen untugendhafte Handlungen hervorgehen, ihn immer wieder hinreißen. Er gewöhnt sich daran, auch wenn Ärger in ihm aufkommt, nicht ärgerlich zu reagieren in dem Wissen: „Wenn du ärgerlich reagierst, schaffst du dir ärgerliche Reaktion der anderen, und dann entsteht Wirbel, und in dem Wirbel kommst du nicht zur Vertiefung. Wenn du dich aber tugendhaft verhältst, wird es zwischen dir und den anderen Menschen heller, es entsteht die sanfte Begegnung, es wird alles stiller. Dann hast du mehr Muße, dich zu besinnen, und innerlich bist du weniger verdunkelt."
Der Erwachte sagt: Wenn jemand untugendhaft, übel handelt und dann einmal für sich eine stille Stunde hat und sich tiefer besinnen will, kommt stattdessen das mahnende Gewissen über ihn, das Denken an die üblen Dinge, die er getan hat. Der Erwachte sagt, dass solche Gedanken aufsteigen, ist gut, dann hat er die Gelegenheit, das Getane zu bereuen und innerlich davon Abstand zu nehmen. Aber besser wäre, er hätte es nicht getan, denn dann erführe er diese feine Vertiefung, von der wir sprechen. Tugendliches Verhalten fegt die Bahn frei. Dann kann man an die unmittelbare Reinigung des Herzens gehen. Darum spricht der Erwachte von in Tugend ausgediehener Vertiefung (D 16). Das bedeutet aber natürlich nicht, dass man zuerst hundertprozentig in Tugend werden soll und bis dahin alle Vertiefungen ängstlich meiden soll. Alles, was uns helfen kann, müssen wir heranziehen als Hilfe. Nur müssen wir wissen: Je breiter die Basis der Tugend ist, umso breiter kann Vertiefung aufgebaut werden. Je breiter und umfassender die Tugend ist, um so mehr kann Weisheit daraus erwachsen. Je breiter und umfassender die Weisheit ist, um so mehr kann daraus die letzte endgültige Ablösung erwachsen.
Der Erwachte sagt, wenn wir die breite Basis eines reinen sittlichen Lebens geschaffen haben, dann sind uns verschiedene üble Dinge durch unsere innere Art und Gewöhnung ganz unmöglich geworden. Auf dieser Basis kann man sich dann um Vertiefung bemühen. Aber wiederum darf man das nicht so auffassen: Erst muss unter völliger Ignorierung aller Vertiefung die breite Tugendbasis angebaut werden, dann erst kann man mit Vertiefung beginnen. Es ist nur gemeint: Die Basis der Tugend soll immer breiter sein als die Vertiefung. Indem wir uns im Alltag mehr darum bemühen, in allen Situationen an uns zu halten, dann können wir an den Tagen auch eine Stunde des inneren Stillwerdens erleben. Je mehr man eine sanftere Begegnung im Umgang mit den Mitmenschen erwirbt, auch in der Gesinnung nicht so schnell ungut reagiert, um so mehr kann man seine ganze Kraft der Vertiefung zuwenden, und die Vertiefung gelingt dann viel besser. - Das ist der sichere Weg, den der Erwachte zeigt und den Sie in allen Lehrreden bestätigt finden.
Hörer: Ich würde sagen: Alles Tun im kausal bedingten Bereich kann wohl vorbereitenden Wert haben, aber es bringt mich keinen Schritt näher zur Befreiung von Trieben, weil es eben kausal abläuft. Und wenn ich Sehnsucht nach dem Erlebnis der Vertiefung habe, so liegt das Ersehnen dieses Erlebnisses auch im bewegten, kausalen Bereich und verhindert dadurch die Vertiefung. Ich würde sagen, das Einzige, das einen Schritt näher an die befreiende Situation heranbringt, sind nur akausale, nicht bedingte Erlebnisse, die nur in einer Meditation vorhanden sind, in der kein Denken und auch kein „Ich möchte jetzt das und das Erleben" geschieht.
Debes: Und wie kommen Sie zu dem Erlebnis? Wir sind ja im kausalen Bereich, den wir zwar verlassen können, aber wir müssen mit kausalen Mitteln herausgehen.
Hörer: Das wird auch nicht bezweifelt.
Debes: Das haben Sie aber gemeint. Ich hätte mit Kausalmitteln immer nur wieder neue Bedingungen gesetzt. - Ihr Geist, in den auch die Lehre des Buddha hineingekommen ist, hat gesagt: Ich kann nur frei werden, wenn ich alles Kausale entlasse. Dass der Geist das sagt, ist auch kausal bedingt. Er hat es durch Belehrung von anderer Seite aufgenommen. Dann sagt der Geist weiter: Die fünf Zusammenhäufungen sind der Kausalkreis, der Kausalnexus, der unendliche Zirkel. Es gilt nun, einen Frieden nicht zu schaffen, sondern durch Nichtergreifen der fünf Zusammenhäufungen bleibt Frieden übrig, der jenseits aller Kausalität ist. Damit finden Sie das Nichtkausale mit kausalen Mitteln. Es geht nicht anders. Sie müssen die kausalen Mittel anwenden. Der erlebte Friede führt zu der kausalen denkerischen Konsequenz: Ich will einerseits versuchen, so oft wie möglich, wenn stillere Stunden sind, alles Kausale beiseite zu tun. Dann bleibt der Friede übrig. Aber da das Kausale eine Kraft hat, die sich der Psyche aufdrängt, Zeit und Raum heranpresst und so Bedingungen schafft, so will ich auch sorgen, dass ich innerhalb des Kausalen für dessen Linderung sorge, dass das Erlebte allmählich immer weniger brennt. In diesen beiden Weisen will ich vorgehen: Öfter in stillen Stunden, in denen das Kausale weniger drängt, es mit Wahrheitsgegenwart und Klarblick ganz beiseite tun, dass der Friede übrig bleibt.
Aber wenn wir ehrlich gegen uns selbst sind, werden wir zugeben müssen, dass wir nicht eine halbe Stunde in dieser Verfassung bleiben können. Der Tag hat aber ungefähr sechzehn Stunden des Wachseins. In denen kann ich im Bereich des Kausalen dazu beitragen, dass Tugendregeln eingehalten werden, die Gesinnung heller wird, so dass ich dadurch immer leichter den Frieden gewinnen kann.
Man kann den Kausalzusammenhang vergleichen mit Geräuschen — und das Nibbana vergleichen mit der Stille. Alle Geräusche entstehen durch Bedingungen, aber die Stille entsteht nicht durch Bedingungen. Die Stille entsteht nicht. Die Stille ist gerade, wenn keinerlei Bedingungen eintreten. Wir können sagen, die Stille ist immer. Sie ist auch jetzt unter den von uns verursachten Geräuschen. Stille ist ja durch nichts bedingt. Aber da immer Geräusche sind, also immer Ursachen für Geräusche sind: unser Reden, unser Herzschlag oder was man auch immer nehmen will, so merkt man nicht die Stille.
Die erste Schicht, die die Stille überdeckt, ist die Gesamtheit der Triebe. Unser Geneigt sein schmeckt alle sinnlichen Eindrücke ab und empfindet etwas Wohltuendes als angenehm, weil die Triebe es so empfinden. Tritt etwas Entgegengesetztes ein, wird es von den Trieben als unangenehm empfunden.
Die zweite Schicht, die die Stille überlagert, ist das Aufkommen von dunklen Gesinnungen, von Ärger, Zorn, Verdruss usw., wenn sinnliche Wahrnehmungen von den Trieben her als unangenehm beurteilt werden. Das sind noch gröbere Geräusche, die als zweites die Stille überdecken.
Eine dritte überlagernde Schicht besteht in der Reaktion im Reden und Handeln, im Tat- und Wortbereich. Sie ist noch wilder und wüster, noch gröbere Geräusche sind dort, die die Stille verhindern. Solange wir die starke Gewöhnung haben, von den Trieben her auf Erlebnisse mit Gefühl zu antworten, und dann in der Gesinnung begehrlich, verdrossen werden usw. und dann entsprechend der Gewöhnung im Reden und Handeln gleich ein böses oder ungutes Wort zu sagen, so lange hindern uns diese starken drängenden Wogen, die Stille zu erfahren, und darum muss man sie abschichten. Wenn sie abgeschichtet sind, kann man die Stille erfahren. Es geht letztlich darum - darin sind wir uns alle einig -, das Unbedingte zu gewinnen. Aber die Schritte zum Gewinnen des Unbedingten sind gerade durch Bedingtes bedingt.
Wenn es keine Bedingungslosigkeit gäbe, dann gäbe es keinen Ausweg, und wenn es keine Bedingtheit gäbe, dann könnten wir zum Bedingungslosen nicht hinkommen. In der Bedingtheit, in der wir leben, schaffen wir die Bedingungen, bis an den Rand des Bedingungslosen zu kommen. Und dann entlassen wir die letzte Bedingung, wie es der Erwachte schildert.