Wenn Ängste von Eltern zum Verstoß gegen die Schulpflicht führen
https://www.freiepresse.de/vogtland/auerbach/wenn-aengste-von-eltern-zum-verstoss-gegen-die-schulpflicht-fuehren-artikel12651380Weil sie wegen Corona-Selbsttests seelische und körperliche Probleme für ihre Töchter befürchteten, ließen zwei Vogtländer die Kinder zuhause. Die Eltern müssen deshalb nun ein Bußgeld zahlen. Ihr Widerspruch dagegen hatte vor Gericht keinen Erfolg. Nur für die Mutter wurde die Strafe etwas abgemildert.
Es war längst nicht das erste Mal, dass Richter Helmut Böhmer am Auerbacher Amtsgericht die Aussage hörte, dass die Nutzung von Antigen-Schnelltests giftig, gar krebserregend sei. Und er machte aus seiner Haltung gegenüber dieser subjektiven Auffassung keinen Hehl. Dem vogtländischen Elternpaar (35 und 34 Jahre), das sich jetzt verantworten musste, weil es im Coronaherbst 2021 gegen die Schulpflicht zweier seiner drei Töchter verstoßen hatte, antwortete Böhmer im Klartext: Nein, er glaube nicht, dass sich Ungeübte während des Testens die Zirbeldrüse, ein Organ in der Nähe des Gehirns, verletzen könnten.
Es kam wohl schon einige Male vor, dass jemand etwas "nicht glaubte" und aufgrund dessen nichts getan wurde. Als dann doch eintraf, was zuvor nicht geglaubt worden war, war man nachträglich vielleicht "schlauer". Aber was nützt es dann denen, die sozusagen "Opfer" des Unglaubens geworden sind?
Man könne und dürfe Kinder nicht in Watte packen, hielt Böhmer den Eltern seine Auffassung entgegen. Mit behutsamer Aufklärung daheim hingegen könne man viel erreichen. Die Mädchen, damals 7 und 9 Jahre, seien schließlich intelligent und würden ja auch mit Messer und Gabel essen oder sich die Zähne putzen, sogar mehrmals täglich - ohne sich zu verletzen.
Ein "an den Haaren herbeigezogener" Vergleich, wie ich finde.
Böhmer ließ sich von der gelernten Erzieherin und dem Lageristen schildern, wie es dazu kam, dass sich die Fehltage der Mädchen auf ganze 44 summierten. In erster Linie sei die damalige Testpflicht schuld gewesen, sagte die Mutter. Die Tests hätten ihre hochsensiblen Kinder konsequent abgelehnt. Auch die Eltern hätten befürchtet, dass das dreimalige wöchentliche "Einführen eines Gegenstandes" in die Nase zu Verletzungen der Schleimhaut, zu Blutungen oder Allergien führen könnte. "Wer haftet im Falle unsachgemäßer Anwendung", wollte die Mutter wissen. Wie ihr Ehemann war auch sie ohne Anwalt erschienen.
Ja, wer haftet wirklich, wenn so etwas geschieht? Wenn es nur allein um diese Frage ginge.....
Eine der Töchter leide zudem an Selektivem Mutismus, sie habe bis zum Schulanfang kaum mit Menschen außerhalb der Familie gesprochen und sei therapeutisch behandelt worden. In der 1. Klasse habe es für die Kleine anfangs recht gut geklappt. "Wir wollten verhindern, dass sie wieder ins Schweigen verfällt", begründete der Vater ihr Fernbleiben. Seine weitere Argumentation: Wenn tatsächlich Corona festgestellt worden wäre, die Töchter dann mit, wie er sagte, "viel Trara negativ im Mittelpunkt" gestanden hätten, sei deren Panik vorprogrammiert gewesen. "Für uns war es eine Horrorvorstellung, wenn sie sich den langen Stab in die Nase rammen müssen", so die Sorgeberechtigten.
Der Richter ließ einen weiteren Kritikpunkt der Eltern nicht gelten: Demnach sei die Funktionalität der Tests bis heute nicht bewiesen. Darüber gäbe es Studien. Wo das Paar diese gelesen habe? "Im Internet? Na, dann muss es wohl stimmen", so Böhmer. Davon, dass man als Person, dies sich selbst testet, Handschuhe oder Schutzkleidung benötige, wie die Angeklagten behaupteten, sowie eine Extra-Schulung, wisse er nichts. Beides betreffe lediglich jene, die Verdachtsfälle testen mussten.
Der Richter hakte während der 90-minütigen Verhandlung nach, warum die Eltern kein Attest für die Kinder beigebracht hätten. "Wir haben keinen Arzt gefunden, der uns eines ausstellen wollte", so die Antwort. Laut Böhmer könne das nicht sein. Er sei von Berufs wegen regelrecht mit Attesten überschüttet worden, sagte der Richter. Er bezweifle nicht, dass die Eltern das Beste gewollt und die Kinder beide gute Noten hätten. Doch wer gegen die Schulpflicht verstoße, müsse mit Konsequenzen rechnen, stellte er klar. Am Ende minimierte er das Bußgeld für die Mutter auf 250 Euro, weil diese sich derzeit in Elternzeit mit der jüngsten Tochter befindet. Der Vater muss die volle Summe von 660 Euro zahlen.
Inwieweit leben wir eigentlich in einer "aufgeklärten" Zeit? Diese Frage beschäftigt mich und lässt mich daran zweifeln, dass es sich um aufgeklärte Menschen handeln kann, solange an den "schwächsten" Gliedern unserer Gesellschaft im Namen des Gesetzes Unrecht ausgeübt wird.