In der osteuropäischen Frömmigkeit beobachte ich oft eine Art zur Schau gestellte Inszenierung der eigenen Unzulänglichkeit, wie ich sie hier im Westen nicht in dieser Massenverbreitung erlebt habe. Das reicht von schmerzhaften Handlungen, die man sich selbst zufügt, um näher bei Gott zu sein, bis hin zu öffentlichen Selbstanschuldigungen und Sündenbekenntnissen und der Erkenntnis, dass man selbst zu unwürdig ist, um nahe bei Gott zu sein.
Mich erinnert es oft an:
Mt 6,5 hat geschrieben: Und wenn du betest, sollst du nicht sein wie die Heuchler, die da gerne stehen und beten in den Schulen und an den Ecken auf den Gassen, auf daß sie von den Leuten gesehen werden. Wahrlich ich sage euch: Sie haben ihren Lohn dahin.
Nur eben weniger mit Gebet als mit öffentlichen Selbstanschuldigungen.
Jak 5,16 hat geschrieben: Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.
Nur das Gebet ist dann oft eher ein Lippenbekenntnis. Oft sind es auch dieselben Sünden, die über Jahre oft in demselben Wortlaut bekannt werden. Manchmal erinnert es an Klageweiber in Filmen oder profaner formuliert um die Zurschaustellung von Reue.
Aus dem Zitat von Marsianer 3.10.21 13:42Die Heiligen raten uns, nach Reue zu streben – die ebenfalls eine Gabe Gottes ist – und die nach dem hl. Isaak dem Syrer erhabener ist als alle anderen Tugenden:
Prelest verstehe als ewige Bewusstwerdung, dass der Mensch nur ein Sünder ist und darum auf Gottes Gnade angewiesen ist. Das mag für sich alleine genommen unproblematisch sein, kann aber auch zu den oben geschilderten gruppendynamischen Auswirkungen führen.
Ich verstehe Prelest und seine möglichen Folgen in die Richtung, dass die Bewusstwerdung, dass man selbst nur ein Sünder ist und vermeintlich nichts dagegen tun kann, dazu führt, dass man sich (vermeintlich) klein macht vor Gott – gleichzeitig birgt es die Gefahr eines Wettbewerbs, wer jetzt nun der grösste Sünder ist. Gewissermassen Selbsterhöhung durch Selbsterniedrigung.
Das jetzt als negative Interpretation.