Ein Zitat aus Fritz Gerlich, Die stigmatisierte Therese Neumann von Konnersreuth, ERSTER TEIL, Die Lebensgeschichte der THERESE NEUMANN
http://www.konnersreuther-resl.de/images/Gerlich_komplett.pdf
(Band 1 und 2 gibt es auch als grafischen Scan auf archive.org)
S. 163-165 (ganzes Kapitel) hat geschrieben:Die Sühneleiden
Seit der Zeit, seit der ich Therese Neumann persönlich kenne, konnte ich beobachten,
wie das, was sie als ihren Beruf bezeichnet, nämlich das Leiden für andere, immer mehr
auch den äußeren Ablauf ihres Lebens bestimmt. Dieses Leiden für andere findet sei-
nen stärksten Ausdruck in den Sühneleiden. Sie sind nach ihrer Aussage im erhobenen
Ruhezustand eine Hilfe, die sie verstorbenen Menschen leisten darf, um ihr Fegfeuer
abzukürzen, oder Lebenden, um ihnen Lasten und Verfehlungen zu mildern oder beim
Sterben zu helfen. Der äußere Vorgang war, soweit meine Beobachtungen reichen, bis-
her in der Regel der folgende: Therese Neumann begann über mangelndes Wohlbefin-
den zu klagen, sie fühlte sich schwach und suchte ihr Bett auf. Allmählich traten körper-
liche Krankheitserscheinungen auf, sei es Fieber, seien es Schmerzen im Körper, sei es
ein rasender Durst, z. B. als sie für jemanden litt, der sich noch im Fegfeuer befand, weil
er im Trinken unmäßig gewesen war. In einem solchen Fall erlebte ich, daß sie leiden-
schaftlich nach Wasser verlangte, nachdem sie vorher sich fortwährend mit der Zunge
die Lippen zu netzen versucht hatte. Der Pfarrer gab ihr ein Glas Wasser, nach dem sie
hastig griff, um es zurückzuweisen, sobald sie das Wasser an den Lippen spürte. Ein
derartiges Leiden kann sich stundenlang hinziehen. Der einzelne Vorgang, der in sei-
nem körperlichen Ausdruck bei jedem. Leiden, das ich miterlebte, wechselte, kann sich
in seinem innerlichen, zusammenhängenden Verlauf bei einem einzelnen Sühneleiden
wiederholen. Ich war einmal Zeuge - und zwar mehr wie zwei Stunden hindurch, wie
derselbe Ablauf dreimal hintereinander auftrat. War dann die Seele aus dem Fegfeuer
erlöst, so sprach sie nach Therese Neumanns Angabe mit ihr und dankte ihr. Therese
Neumann aber verlangte sehnsüchtig, mit der Seele in den Himmel kommen zu dürfen.
Wie mir der Pfarrer sagte, geschieht dies regelmäßig. Sie war außerordentlich traurig,
daß sie noch auf Erden bleiben mußte. Ein erhobener Ruhezustand, der sich dem Lei-
den anschloß, stellte ihre meist sehr erschöpfte Kraft rasch wieder her. Hat sie einem
Menschen beim Sterben helfen dürfen, so meint der Beobachter, sie stürbe selbst vor
seinen Augen in dem Augenblicke, wo der Mensch, dem ihre Hilfe bestimmt ist, sterben
soll. Ich weiß von einem Fall, wo, ihr Körper die Krankheitserscheinungen des Sterben-
den, wie Wassersucht, Asthma und Atemnot usw. zeigte. Therese Neumanns Körper
schwoll ebenfalls auf. Sofort nach dem Tode der betreffenden Person kam Therese
Neumann in einen erhobenen Zustand, während die Krankheitserscheinungen bei ihr
zugleich verschwanden. Der Pfarrer erzählte mir ferner: Bei einem Sühneleiden wegen
Alkoholmißbrauch in einer Gemeinde in der Fastnachtszeit habe sie derart aus dem
Munde nach Schnaps und Bier gerochen, daß man das Zimmer öffnen mußte und daß
selbst auf dem Hausgang ein ganz starker Schnapsgeruch bemerkbar war, so daß der
Vater Neumann sagte, man möchte geradezu meinen, sie hätten im Hause ein
Schnapsgelage gehabt. Dabei erbrach sie sich fortwährend unter größten körperlichen
Schmerzen, ohne daß der Mund außer diesem Geruch etwas von sich gab.
Derartige Leidenshilfe wird nach dem, was mir Therese Neumann selbst in solchen Zu-
ständen und auch im gewöhnlichen Zustand erzählte und was der Pfarrer bestätigte,
Menschen ohne Unterschied zuteil. Ich weiß von einem Fall, wo diejenige, der die Ster-
behilfe bestimmt war, eine frühere Prostituierte war: „Weißt," sagte sie zu mir später im
erhobenen Ruhezustand, „des Moidl war noch vor zwei Jahren in einem öffentlichen
Haus. Na hat sie sich bekehrt und ist in einen Büßerinnenorden eintreten, und jetzt
durfte i ihr beim Sterben helfen." Ein anderes Mal war die Leidenshilfe für einen protes-
tantischen Scherenschleifer bestimmt, der ein Mann „guten Willens" ist. Es sind - wie
auch aus dem Tagebuch des Pfarrers ersichtlich ist schon Personen in Konnersreuth
erschienen, die sich bei ihr für eine Hilfe bedankten, welche sie in größter Gewissensnot
erfahren hatten und die sie Therese Neumanns Sühneleiden zuschrieben. Darunter be-
fanden sich auch solche, von denen Therese Neumann vorausgesagt hatte, daß sie
vorher für sie wegen genau bezeichneter Anlässe leiden werde und die dann nachher
kommen und die Anlässe bei ihrem Dank auch erzählen würden. Aus solchen Berichten
späterer Besucher konnte dann der Pfarrer die Richtigkeit der Voraussagen feststellen.
Es drängte mich einmal, mit ihr im erhobenen Ruhezustand über diese Sühneleiden als
etwas mir völlig Neuem und gedanklich nicht recht Faßbarem zu sprechen. Ich erklärte
ihr offen, daß ich den Vorgang nicht verstände. Da antwortete sie mir etwa folgender-
maßen „Sieh mal ! Der Heiland ist gerecht. Deswegen muß er strafen. Er ist aber auch
gütig und will helfen. Die Sünde, die geschehen ist, muß er bestrafen. Wenn aber ein
anderer das Leiden übernimmt, so geschieht der Gerechtigkeit Genüge, und der Heiland
erhält Freiheit für seine Güte." In diesem Gespräch fragte ich sie weiter, wie sie innerlich
zum Leiden stehe. Ich glaubte nämlich beobachtet zu haben, daß sie das Leiden fürch-
tet und es mit großer Willensanstrengung und nur aus Gehorsamsbereitschaft gegen-
über der göttlichen Fügung, die ihr dieses Kreuz auferlegt hat, zu ertragen versucht. Sie
antwortete mir auf meine Frage: „Sieh mal! Das Leiden kann niemand gern haben. Auch
ich hab es nicht gern. Kein Mensch hat den Schmerz gern, und ich bin auch ein
Mensch. Ich hab den Willen des Heilandes gern. Und wenn er ein Leiden schickt, so
nehme ich es an, weil er es will. Aber das Leiden hab ich nicht gern."
Dieser Antwort und den erwähnten Beobachtungen entspricht ferner das, was ich als
Zeuge von Versuchungen der Therese Neumann über ihre Leidensbereitschaft erlebt
habe. Ich sah sie von Angst und Schmerz geworfen im Bett liegen und hörte, wie sie
stöhnte: „Ich kann nimmer, ich mag nimmer!" Und wenn dann der Pfarrer helfend sagte :
„Resl, aber wenn der Heiland es so will!" dann kam die Antwort: „Wenn er es will, dann
will ich's auch. Dann werd's scho recht sei. Denn er ist gut. Aber weißt, es ist ja nimmer
zum Aushalten!" Auch eine andere Anfechtung, nämlich die des Zweifels an ihrem eige-
nen Glauben, bleibt ihr nicht erspart. Auch dieses kann ich als Zeuge aussagen. Die in
diesem Abschnitt besprochenen Erscheinungen bei Therese Neumann stehen, soweit
ich bisher erfuhr, in einem gewissen Zusammenhang mit dem Ablauf des kirchlichen
Jahres. Das gleiche gilt von ihrem körperlichen Befinden überhaupt. In der Advents- und
Fastenzeit hat sie besonders viel zu leiden, und zwar auch solche Leiden, die nicht als
Sühne für eine oder mehrere bestimmte Personen bezweckt zu sein scheinen. Auch bei
derartigen Leiden sind Erscheinungen von Wassersucht mit Anschwellen der Beine und
andere Krankheiten aufgetreten. Sie wird dabei schließlich völlig bettlägerig, um am
ersten Weihnachtstag oder am Morgen des Ostertages nach raschem Verschwinden der
Erscheinungen zur Kirche gehen und sich wieder frei herumbewegen zu können. Gera-
de diese Beobachtung legt den Gedanken nahe, diese Leiden nicht mehr als Krankhei-
ten im landläufigen Sinn anzusehen. Sie werden im erhobenen Ruhezustand als religiös
zweckbestimmte Vorgänge bezeichnet. Dabei wird aber gleichzeitig erklärt, daß die
Krankheiten als solche körperlich vorlagen. Am Schlusse einer Wassersucht mit
Schwellung der Beine und des Leibes ging in der Tat viel Wasser auf natürlichem Wege
ab, wie mir sie selbst, ihre Eltern und der Pfarrer mitteilten.